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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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flüsterte sie Timon zu. »Und ich bleibe.«
    Gemeinsam legten sie sich auf das Moos und umklammerten sich, so als wollten sie einander nie wieder loslassen.
     
    Einige Stunden später warfen die Bäume keinen Schatten mehr, die Luft war schwarz und kalt, und die Welt war verstummt. Alles war Nacht. Die Tiere des Waldes hatten sich in die Finsternis zurückgezogen und die beiden Liebenden allein gelassen. Gelegentlich schwebte ein Blatt auf ihre Körper, oder ein Stamm knarrte dunkel durch das Tal, doch da sie nahezu nichts sehen konnten, bekam jedes dieser Geräusche eine andere Bedeutung.
    »Unheimlich, nicht?«, flüsterte sie nach einer Ewigkeit, in der sie nicht gesprochen hatten.
    »Was du hörst, sind Faune und Waldgeister«, hauchte er zurück und küsste sie. Er konnte in dieser mondlosen Nacht kaum ihr Gesicht sehen, obwohl es keine Handbreit von seinem entfernt war. Er spürte sie, überall, alles von ihr. Ihr warmer Atem streichelte seine Wangen, seine Stirn berührte ihre Haare, ihre Beine wanden sich um seine Hüften. Sie waren wie zwei Teile, die sich nach Jahren endlich gefunden hatten und ineinander verschränkten zu einem Ganzen. Sie waren glücklich. Und sie mussten nicht über das reden, was sie getan hatten.
    »Ich habe Angst«, sagte sie.
    »Es war nur ein Spaß. Niemand hat je einen Waldgeist gesehen.«
    Er konnte ihr Lächeln hören.
    »Sehr beruhigend«, sagte sie. »Aber das habe ich nicht gemeint. Ich fürchte die Glaubenseiferer in diesem Land, die mich hassen, und die Zukunft, von der man nicht weiß, was sie bringt.«
    »Du hast nie wie ein ängstlicher Mensch auf mich gewirkt.«
    »Es ist gut, Angst zu haben, solange man sich nicht von ihr besiegen lässt. Sie macht aufmerksam. Und seit ein paar Stunden bin ich nicht mehr allein, Timon, ich muss auch an dich denken.«
    »Nur keine Sorge. Ich fühle mich, als hätte ich ein Tonikum getrunken, das mich unverwundbar macht.«
    Sie strich mit ihrer Nase über seine Lippen. Auch sie spürte diese neue Kraft, zugleich mahnte eine andere Stimme zur Vorsicht.
    »Die Welt ist einer Liebe wie der zwischen uns nicht freundlich gesonnen.«
    »Wir sind weit weg von der Welt.«
    »Die Welt ist keine fünfhundert Schritte von hier – und sucht mich vermutlich bereits. Dass wir zu dieser Stunde noch zusammen sind, ist gefährlich.«
    Seine Stimme klang traurig. »Mein Verstand weiß das, mein Gefühl aber …«
    »Mir geht es genauso«, gab sie zu. »Aber wir hätten nicht zehn Jahre gebraucht, um zusammenzukommen, wenn wir häufiger auf unseren Verstand gehört hätten. Ich glaube, wir sollten ihm dieses Mal nachgeben.«
    Sie richtete sich auf und sammelte ihre auf dem Waldboden verstreuten Schleier und Gewänder zusammen. »Wie gehen wir jetzt vor?«
    »Du gehst allein zurück und sagst, wir hätten uns schon vor Stunden getrennt und du hättest dich verlaufen.«
    »Klingt nicht nach mir, aber etwas Besseres fällt mir auch nicht ein.«
    »Wann sehen wir uns wieder?«, wollte er wissen.
    »Ich wünschte, ich wüsste es. Morgen früh reise ich wieder zurück. Beim Himmel, es wird eine furchtbare Zeit in Bethsaida werden, ohne dich. Ich komme, sooft ich kann, nach Philippi, das verspreche ich.«
    »Ich bin auf ihn eifersüchtig.«
    Sie lachte hell auf. »Auf Philipp? Wir schlafen nie miteinander.«
    »Er darf dich um sich haben.«
    »Für ihn ist das eher eine Strafe, scheint mir.« Sie hatte ihr Gewand angelegt und streifte nun den roten Schleier über ihr Haupt.
    Er stand auf und küsste sie ein letztes Mal.
    »Ich hasse es, jetzt so wegzugehen«, schimpfte sie. »Die letzten Stunden waren die schönsten, die ich je erlebt habe, und nun muss ich mich wie eine Verbrecherin benehmen, lügen und verstecken und … Die Welt müsste einfacher sein. Ich müsste zu Philipp gehen, mich scheiden lassen und ein neues Leben anfangen können.«
    »Eines Tages werden wir das alles tun. Wie du sagtest: Wir haben ein Recht auf unsere Liebe.«
    Sie fiel ihm um den Hals. »Das war genau der Satz, den ich jetzt gebraucht habe.« Sie wandte sich abrupt um und verschwand in der Dunkelheit.
    »Pass auf dich auf«, rief sie, als sie schon die Flusssenke passiert hatte. Sie konnte sich nicht sicher sein, ob er sie gehört hatte, denn es kam keine Antwort mehr.
     
    Zurück in Bethsaida, erfuhr Salome, dass ihr Mann wenige Stunden vor ihr eingetroffen war. Ursprünglich hatte er eine Woche bei seinem Bruder Antipas bleiben wollen, doch irgendetwas schien seine Pläne

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