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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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verließen die Gläubigen die Synagoge, bis nur noch Philipp und sie übrig waren. Er hatte sie noch immer nicht bemerkt, denn er stand mit dem Rücken zu ihr und hielt unverändert die Hände vor das Gesicht. Einige der Öllampen verloschen, und es wurde zunehmend dunkel in dem mit Ornamenten geschmückten Raum, der keinen Mittelpunkt hatte wie die Tempel der heidnischen Religionen. Hier gab es üblicherweise keinen Altar, kein Podium, auf dem ein Priester Rituale hätte vollziehen können. Ja, nicht einmal Priester gab es, denn diese hatten lediglich den Tempel von Jerusalem zu betreuen. Die Synagogen waren Versammlungsorte, wo man betete, diskutierte oder sang, ein Ort gemeinsamen Lebens. Außer einigen Bänken und einer mannshohen, bronzenen menora gab es keine Gegenstände.
    Nun brannten nur noch die sieben Kerzen der menora , die Öllampen waren alle erloschen. Salome fror. Sie hatte lange darauf gewartet, dass ihr Mann sein Gebet beenden würde, doch jetzt war ihre Geduld erschöpft. Sie trat neben Philipp und räusperte sich. Als das nicht half, berührte sie ihn sacht an der Schulter.
    Augenblicklich ließ er seine Hände sinken, und was sie im nächsten Moment sah, ließ sie zusammenzucken. Tränen rannen ihm über Wangen und Kinn, seine Hände waren nass davon. Er erschrak nicht minder als sie.
    »Du?«, ächzte er.
    »Was …?« Sie konnte nicht weitersprechen. Der Anblick eines weinenden Philipp raubte ihr den Atem. Wäre ihr, wie einst Moses, ein brennender Dornbusch erschienen, hätte sie nicht verwirrter sein können.
    Sekundenlang konnte keiner von ihnen etwas sagen. Sie sahen einander an, ohne sich zu bewegen. Schließlich fragte sie leise: »Was ist geschehen?«
    Er wich ihrem Blick aus, wandte sich ab.
    »Ist jemand gestorben?«, fragte sie, wobei ihr niemand einfiel, dessen Tod Philipp schmerzlich berühren könnte – nicht einmal ihr eigener.
    Er schüttelte sacht den Kopf. »Nein«, antwortete er mit belegter Stimme. »Alle sind wohlauf.«
    »Warum bist du schon wieder zurück, und warum stehst du hier und …« Sie sprach nicht aus, dass er weinte.
    »Antipas und ich hatten weniger zu besprechen als geglaubt. Nachdem ich ihm gesagt hatte, dass du nicht mitgekommen bist, war er kurz angebunden und hakte die politischen Themen schnell ab. Ich sagte dir ja, dass mehr hinter der Einladung steckte. Vermutlich deine Mutter – vielleicht auch etwas anderes.«
    Antipas war ihr egal, an ihn verschwendete sie keinen Gedanken. Immerhin erklärte diese Geschichte, weshalb Philipp früher als geplant zurückgekommen war, jedoch noch nicht seine Tränen.
    Plötzlich keimte ein Verdacht in ihr. Konnte es sein, dass Philipp etwas von Timon und ihr wusste und dass er einen schwerwiegenden Entschluss gefasst hatte? Wollte er sich von ihr trennen – oder Schlimmeres? Jeden Tag wurde irgendwo in Judäa eine Frau wegen Ehebruchs gesteinigt.
    Sie ermahnte sich, Ruhe zu bewahren. Vielleicht bildete sie sich das alles nur ein. Ihr wurde bewusst, wie Recht sie gehabt hatte, als sie Timon die Realität der Welt vor Augen führte. Sie wandelten beide auf einem schmalen, gefährlichen Grat, darüber mussten sie sich stets klar sein.
    »Möchtest du mir nicht verraten, was dich in diesen … Zustand versetzt hat?«, fragte sie.
    Er antwortete nicht. Noch immer stand er abgewandt von ihr da und war offenbar damit beschäftigt, seine Fassung wiederzugewinnen, jene steinerne Fassade, die sie und alle Welt kannte.
    »Also gut«, seufzte sie halb ärgerlich, halb besorgt. »Dann gehe ich jetzt in meine Gemächer.«
    »Bleib hier«, rief er, bevor sie den Gebetsraum verlassen konnte. »Ich muss mit dir sprechen.«
    »Diesen Eindruck hatte ich eben nicht.«
    »Bitte, setz dich.« In seinem gewohnt höflichen Ton schwang diesmal eine leichte Gereiztheit mit. Er hatte die Tränen zwar abgewischt, doch die Wangen waren gerötet und schimmerten feucht im Licht der menora . Das war nicht der Philipp, den sie kannte.
    Sie nahm auf einer Steinbank Platz und erwartete, dass er sich neben sie setzen oder vor sie stellen würde. Stattdessen ließ er sich dort, wo er stand, auf den ornamentierten Bodenkacheln nieder, wie ein arabischer Markthändler, der seine Waren feilbot.
    Er schwieg, doch sie sah ihm deutlich an, wie er nach Worten suchte.
    Sie konnte ihre Unruhe nun kaum noch bezähmen. Sie spürte, dass etwas Bedeutendes in der Luft lag, etwas, das ihr ganzes Leben verändern würde.
    Endlich sprach er.
    »Salome, du weißt

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