Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
gewiss, dass ich dich immer gut behandelt habe, besser als so manch anderer sein Eheweib behandelt.«
Sie nickte vorsichtig.
»Du hattest Rechte, die über das hinausgehen, was die thora für eine Frau vorsieht. Du konntest tun, was dir beliebt, umfangreiche Korrespondenz führen, Reisen unternehmen, Einfluss auf die politischen Geschäfte Basans nehmen … Wie ich höre, hast du den Architekten von Philippi mitgeteilt, dass alle am Bau beteiligten Sklaven nach Fertigstellung der Stadt freigelassen werden und eine Wohnung erhalten.«
Diese Information konnte er nur von seinem Schreiber oder dem Offizier bekommen haben, dachte sie bitter. Vermutlich hatte man sich über sie beschwert.
»Die Idee kam mir spontan«, erklärte sie. »Vielleicht ist das die Vision für Philippi, die uns noch fehlte: eine Wohnstatt der einstmals Entrechteten soll es werden, ein Signal für die Völker...«
Er unterbrach sie. »Es geht hier nicht um deine Ideen bezüglich Philippi.«
»Sondern?«
»Um deine Liebschaft.«
Augenblicklich krampfte sich alles in ihr zusammen, und eine Flut von Ängsten brach über sie herein. Die Bilder von Harithas elendem Tod waren übermächtig. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr wurde so heiß, dass sie glaubte, ohnmächtig zu werden. Tatsächlich konnte sie sekundenlang nichts mehr sehen, der Raum um sie war dunkel wie eine Gruft. Als sie wieder zu sich kam, saß sie noch immer aufrecht auf der Steinbank. Philipp saß neben ihr.
»Hörst du mich nicht?«, fragte er.
Sie sah ihn an. Der erste, klare Gedanke, den sie wieder fassen konnte, bestand aus einem einzigen Wort: Flucht. Sie musste Bethsaida sofort verlassen, notfalls ohne Habseligkeiten auf einem Kamel oder zu Fuß, nur weg von hier. Noch in dieser Stunde musste sie den Jordan nach Galiläa überqueren. Von dort aus konnte sie Timon eine Nachricht schicken und weiter nach Ashdod fliehen. In ihrer Stadt wäre sie einigermaßen sicher.
Sie wollte aufstehen; Philipp hielt sie fest. Bisher hatte sie nie mehr als zaghafte Berührungen von ihm erfahren, doch jetzt spürte sie, wie kraftvoll er zupacken konnte. Seine Hand umklammerte ihren Oberarm und zog sie wieder auf die Bank zurück.
»Du kannst nicht gehen«, sagte er.
Machte es Sinn zu leugnen? Oder sollte sie ihm die Wahrheit mit aller Macht entgegenschleudern und damit Stärke demonstrieren, die ihn beeindrucken könnte? Sie könnte ihm vorhalten, dass er sie nie wirklich zur Frau genommen, nie ihre körperlichen Bedürfnisse befriedigt habe, ja, dass sie geradezu gezwungen gewesen sei, ihre Liebe woanders zu suchen. Es wäre leicht, ihn in Bedrängnis zu bringen. Aber war es auch klug?
Sie wollte eben zum Angriff übergehen, als er sagte: »Du bist in einem viel zu schlechten Zustand, um in deine Gemächer zu laufen. Das kann ich nicht verantworten. Außerdem – ich bin noch nicht fertig.«
Er löste die Umklammerung ihres Armes, stand auf und ging langsam durch den Gebetsraum. Er stellte sich mit dem Rücken zu ihr vor der menora auf, blickte in die sieben kleinen Flammen und fuhr dann bedächtig fort:
»Mir ist klar, ich habe meinen Teil dazu beigetragen, dass du dich einem anderen Mann … zugewandt hast. Nach sechs Jahren Ehe kannst du mehr von einem Gatten erwarten als das, was ich dir gebe.«
Er atmete tief durch, bevor er weitersprach. »Ich liebe dich, Salome. Ich liebe dich wie eine Schwester. Deine Ratschläge, deine Ideen, deine Ansichten erscheinen mir stets wie eine Verlängerung meiner eigenen. Wir denken häufig dasselbe. Natürlich sind wir in unserem Wesen verschieden, das ist offensichtlich, und dennoch gleichen sich unsere Ziele für Basan und ganz Judäa wie Zwillinge.«
Noch einmal holte er tief Luft. »Ich kann dich allerdings nicht auf die Art lieben, die … die …«
»Ich verstehe«, sagte sie, überrascht von der Wendung, die das Gespräch nahm. Nicht sie war dabei, sich zu rechtfertigen, sondern er.
»Tust du das wirklich?«, fragte er und blickte sie über die Schulter an. Etwas Flehendes, sogar Verzweifeltes lag in seinen Augen. »Verstehst du mich?«
Sie zögerte einen Moment. »Ich weiß, was du meinst, aber nicht, wieso du …« Sie setzte von neuem an. »Hast du nie das Bedürfnis … nun ja, ab und an wenigstens. Oder hast du eine Liebschaft, von der ich nichts mitbekommen habe?«
Er beantwortete die Frage nicht direkt, sondern wandte sich wieder der menora zu und sagte: »Das wäre doch eine Sünde, nicht?«
Sie seufzte. Philipp war
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