Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Centurio demonstrativ auffällig neben ihn trat, ebbte das Geschrei zu einem Gemurmel ab und versiegte schließlich vollständig. »Kein Wort mehr, sage ich. Euer Betragen ist unwürdig.«
Antipas entspannte sich binnen eines Lidschlages, und sein Blick schweifte langsam über das Gefolge seines Bruders. Ein feines Lächeln spannte sich über seine Lippen, als er sagte: »Wie wahr, edler Pilatus. Wir sollten uns mäßigen, und da wäre es doch das Beste, die Leute hinauszuschicken. Wenn wir uns geeinigt haben, können wir sie ja wieder hereinholen und feiern.«
Pilatus und Philipp nickten zu diesem Vorschlag, und jeder schickte sein Gefolge aus dem Saal. Bevor Timon den Raum verließ, warfen er und Salome sich noch einen kurzen, unauffälligen Blick zu, der dennoch voller Liebe war. Gleichzeitig wechselte Antipas einen Blick mit einem seiner Männer – doch in seinen Augen glänzte ein ganz anderes Gefühl.
Timon schlenderte zu einer steinernen Plattform, die beinahe den höchsten Punkt Masadas bildete. Nur ein rechteckiger Wehrturm auf der anderen Seite der Festung überragte ihn noch. Er lehnte sich auf eine der Zinnen und blickte nach Westen. Die Aussicht zur anderen Seite, wo das Salzmeer den Mond und das rotbraune Gestein spiegelte, war schöner, doch der Wind hatte gedreht und brachte milde Luft vom mare nostrum , das etwa achtzig Meilen entfernt lag. Timon genoss den warmen Wind im Gesicht. Er dachte an das sagenhafte Blau von Epidauros, an die weißen Steine und bewaldeten Ufer. Sein Traum war, eines Tages dorthin zurückzukehren, mit ihr, Salome, und dort zu leben. Fortzukommen vom Gerangel um Titel und Macht. Architekt zu sein, Kinder zu haben … Doch er wusste, wie unrealistisch seine Wünsche waren. Myriaden von Hindernissen taten sich auf und verdoppelten sich mit jedem Moment, in dem er länger darüber grübelte: Salome war verheiratet, sie glaubte nicht an die gleichen Götter, sie war von anderem Stand, war aus einem anderen Land, aus anderem Holz. Sie würde weder Judäa und viel weniger noch die Symbole ihrer hohen Stellung aufgeben, das wusste er. Königliches Blut pulsierte in ihren Adern, der Wille zur Macht war ihr angeboren. Aber eines Tages würde sie sich entscheiden müssen, zwischen ihrem Namen und allem, was damit verbunden war, einerseits und …
Ein Geräusch machte ihn hellhörig. Er drehte sich um und sah durch das Dunkel die Schemen zweier Gestalten auf sich zukommen.
»Ich bin Rom derart ergeben, dass ich sogar meine Hauptstadt nach dem Kaiser benannt habe«, flötete Antipas, plötzlich bar jeder Aggressivität. »Mein Bruder hingegen wird seine Hauptstadt nach sich selbst benennen. Das sollte dir zu denken geben, edler Pilatus.«
Pilatus wandte sich auffordernd Philipp zu. »Was sagst du dazu, Fürst von Basan?«
»Ich sage, dass ich ein dämlicher Tropf wäre, wenn ich eine etwaige Feindschaft gegen Rom – die ich nicht habe – so deutlich zutage treten ließe, wie Antipas es andeutet. Schon die griechischen Philosophen wussten, dass man sich vielmehr vor denen hüten soll, die ihre Freundschaft allzu eifrig beteuern.«
Pilatus blickte wieder zur anderen Seite.
»Und ich sage, dass ich meine Freundschaft zu Rom vor allem durch Taten bewiesen habe. Ich habe die Feinde Roms zu Hunderten aufgreifen und verurteilen lassen. Philipp hat das nicht getan.«
»Weil es in meinem Land weniger Feinde gibt.«
»Nichts als Ausreden, Bruder.«
»Je rücksichtsloser eine Regierung, desto größer der Widerstand gegen sie.«
»Blödsinn. Was willst du mit Worten gegen Dolche ausrichten?«
»Nicht allein mit Worten. Mische ihnen ausreichend Geld hinzu, ein offenes Ohr für die Sorgen der Menschen …«
»Wo kämen wir denn da hin, wenn wir anfingen, das Volk zu bezahlen. Sie bezahlen uns . Das ist völlig natürlich.«
Der erste Stoß verfehlte Timon so knapp, dass der Dolch das Gewand in Höhe seines Bauchnabels aufschlitzte. Timon wich einen Schritt zurück – den letzten, der möglich war. An seinen Oberschenkeln spürte er die Zinnen, dahinter kam nur schwarze Tiefe. Er griff in seinen Gürtel und holte das Kurzschwert hervor. Er hatte es so gut verborgen, dass es nicht einmal die Wachen am Eingang des Festsaals bemerkt hatten. Entsprechend erstaunt blickten die beiden Gegner einander an. Sie hatten den Vorteil, von zwei Seiten attackieren zu können, aber Timon besaß nun ebenfalls eine Waffe, noch dazu eine, die länger als ihre war. Drei blanke Klingen
Weitere Kostenlose Bücher