Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
sind ohne Sohn geblieben.« Abwechselnd blickte er Antipas und Herodias sowie Philipp und Salome an.
    Betretenes Schweigen folgte. Es war unüblich, dass Fremde sich in Familienangelegenheiten einmischten, noch dazu in die intimsten. Allen war jedoch klar, dass Pilatus diese Frage erwägen musste , denn sie betraf den Fortbestand des Königshauses.
    »Ich habe keine Lust«, fügte Pilatus hinzu, »in drei Jahren noch einmal in dieses öde Land geschickt zu werden, weil der König kinderlos gestorben und Judäa führungslos geworden ist.«
    »Daran haben wir auch schon gedacht, edler Prokurator«, mischte Herodias sich in süßlichem Ton ein. »Antipas und ich werden einen Sohn annehmen.«
    Diese Nachricht überraschte alle.
    »Eine Adoption?«, fragte Pilatus neugierig.
    Herodias nickte. »Wir haben vor, Kephallion an Kindes Stelle anzunehmen.«
    Salome hielt es nicht mehr auf ihrer Bank. »Das ist dumm und gefährlich«, rief sie. »Kephallion ist rücksichtslos. Er lässt keine Moral außer seiner eigenen gelten, er hackt auf Schwächeren herum und achtet ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil.«
    »Das hört sich an, als sei er ein zweiter Herodes«, kommentierte Pilatus. »Das ist gut, denn Herodes war Roms Freund.«
    »Kephallion wird niemals Roms Freund sein«, stellte Salome richtig. »Nur sein eigener.«
    »Das ist doch heutzutage dasselbe. Wer zu Rom hält, gewinnt.«
    Salome atmete tief durch und versuchte, ihre Wut zu zähmen. Sie musste Pilatus erklären, wer und was Kephallion war und dass er weder für Judäa noch für Rom gut sein konnte.
    »Herodes«, begann sie, »hat trotz aller gewaltiger Fehler, die er zweifellos besaß, einen einzigen richtigen Gedanken gehabt. Er hat erkannt, dass Judäa eine Brücke zum Imperium schlagen muss, denn an Rom ging kein Weg mehr vorbei. Darum hat er Bauwerke in nichtjüdischem Stil erbaut und römische Zeichen in Judäa zugelassen, zum Beispiel den Adler. Da er selbst nur nach außen hin gläubig war, fiel ihm das nicht schwer. Kephallion hingegen ist aus völlig anderem Holz, wie ich buchstäblich am eigenen Leib erfahren habe. Er wird …«
    Salome wurde durch einen hereinstürzenden römischen Legionär unterbrochen. »Herr«, rief er dem Prokurator zu, »Herr, ein Mann ist von der Mauer gefallen.«
    »Einer von unseren Leuten?«
    »Nein, Herr.«
    Pilatus lehnte sich wieder entspannt auf die Bank. »Na dann«, winkte er ab. »Ich dachte schon, ich müsste wieder ein halbes Dutzend Berichte lesen.«
    »Wir wissen noch nicht, wer der Mann war.«
    Salome, die sich von dem Eindringen des Legionärs in ihren Ausführungen über Kephallion gestört fühlte, warf einen Seitenblick auf Herodias und Antipas, die diese unsinnige Idee eines künftigen Königs Kephallion geboren hatten, und dabei bemerkte sie ein zufriedenes Grinsen ihres Stiefvaters, das allerdings nichts mit dem Disput zu tun zu haben schien, sondern mit der Nachricht des Legionärs. Doch im nächsten Moment veränderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Salome folgte seinem Blick – und sah Timon, der, mit zerfetzter Tunika und aus zahlreichen Wunden blutend, in den Festsaal taumelte.
    Sie erstarrte. Sie war nicht fähig, auch nur einzigen Schritt zu tun oder einen Finger zu krümmen. Es war, als sei das, was vor ihren Augen geschah, nicht wirklich, als träume sie nur einen schrecklichen Traum.
    Timon sackte auf die Knie. Der Legionär sprang ihm helfend zur Seite, versuchte, ihn zu halten, doch vergebens. Bäuchlings fiel Timon auf den nackten Steinboden und regte sich nicht mehr.
    In diesem Moment erst erwachte Salome aus ihrer Starre. Sie wollte zu Timon laufen, aber Philipp hielt sie zurück, so dass niemand ihre Reaktion bemerkte.
    »Das darfst du nicht«, flüsterte er ihr zu und hielt sie mit beiden Armen fest. »Jeder würde erkennen, wie ihr zueinander steht.«
    »Lass mich.«
    »In deinem eigenen Interesse – nein. So hart es für dich ist: Du musst dich jetzt zusammennehmen.«
    Sie blickte über Philipps Schulter hinweg auf Timon, der reglos auf den Kacheln lag. Sie wollte seinen Namen rufen, doch als Philipp es merkte, handelte er schnell. Er hätte ihr den Mund zuhalten können oder sie schlagen, aber beides wäre aufgefallen. Und so küsste er sie. Zum ersten Mal seit der Hochzeit berührte er ihre Lippen mit seinen. Sie war so verwirrt und so ohnmächtig, dass sie es zuließ. Während sein Mund sich auf ihren drückte, betete sie. Herr, lass ihn nicht tot sein. Ich bitte dich.

Weitere Kostenlose Bücher