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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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entlang. Die Strahlen der tief stehenden Sonne drangen weit in das Innere der Residenz ein und ließen die Säulen lange Schatten werfen, und die Kleine erlaubte sich den Luxus, darüber zu hüpfen, auch wenn es sie ein wenig anstrengte. Der Palast war luftig und großzügig gebaut. Manchmal konnte man sogar noch weit entfernte Leute in anderen Teilen des monumentalen Baues sehen, in einem der vielen Höfe, Treppenaufgänge oder einer Halle. Fast immer lag das Gewisper der Höflinge oder die Rufe der Wachen in der trockenen Luft.
    Seit einer Stunde suchte sie vergeblich ihre Mutter. »Mutter«, rief sie zum hundertsten Mal, ohne eine Antwort zu erhalten.
    Sie gelangte in einen kleinen, im Durchmesser kaum acht Schritte messenden Hof mit einem Brunnen in der Mitte, aus dem eine dünne Fontäne spritzte. Hier war sie noch nie gewesen. Durstig kniete sie sich auf den Stein, trank einige Schlucke des erstaunlich kühlen Wassers und wischte sich den Mund ab. Dann setzte sie sich. Der Tag war heiß und der Leichenschmaus für den toten König schwer gewesen. Ihre Mutter war mitten während des Mahls, unbemerkt von Theudion und den anderen, gegangen, was Salome sogleich ausnutzte, um noch zwei weitere Portionen der süßen Mehlspeise zu vertilgen, die ihr nun großen Durst machte.
    Zwei Soldaten liefen aufgeregt an ihr vorbei. Salome stellte sich ihnen in den Weg und fragte, wo sie sich befinde.
    »Für so etwas haben wir jetzt keine Zeit«, antwortete einer.
    »Dann klammere ich mich an dein Bein und lasse so lange nicht los, bis ich weiß, wo ich bin.«
    Der Soldat grinste. »Du weißt, was du willst, nicht wahr?« Er erklärte ihr, dass von diesem Hof die Gemächer zweier Prinzen abgingen, ordnete den Himmelsrichtungen die Namen von Antipas und Philipp zu, kniff Salome in die Wange und lief dann mit seinem Kameraden weiter, als sei er auf der Flucht. Eine merkwürdige Unruhe erfüllte den Palast.
    Salome blickte in die einzelnen Gänge und entschied sich, in den dunkelsten zu gehen. Hier befanden sich die Gemächer des Antipas. Der Marmor war nicht hell wie fast überall, sondern rotbraun und übersät mit quadratischen Ornamenten, von denen einem schwindelig werden konnte. Obwohl keine Fackel brannte, erkannte Salome, dass am Ende des Ganges ihre Mutter eine Tür hinter sich schloss und in den Korridor trat. »Mama«, rief Salome und rannte ihrer Mutter in die Arme. »Wo warst du so lange? Ich habe dich überall gesucht.«
    »So? Ich …« Sie zupfte an ihrer Tunika und dem Obergewand, der stola , herum und ließ dabei ein klingendes Säckchen zwischen die Falten des Stoffes fallen. Da sie keine Anstalten machte, ihren Satz zu beenden, fragte Salome: »Hast du Onkel Antipas besucht?«
    »N-na ja. Ich habe …« Sie stockte. Sie hatte so viel an ihrer stola gezupft, dass diese unordentlicher als vorher aussah. »Wie fröhlich du aussiehst, Liebes«, wechselte sie das Thema. »Hast du dich gut amüsiert?«
    »Ich habe zwei Portionen Kuchen gegessen, Mutter«, beichtete Salome.
    Herodias winkte ab. »Ich will mal nicht so sein, Liebes. Du darfst sogar noch eine essen, wenn du niemandem erzählst, mich hier getroffen zu haben.«
    Salome nickte, froh, ihre Mutter bei so guter Laune zu sehen. »Natürlich nicht. Wir Frauen müssen doch zusammenhalten. Stell dir vor, Tante Akme hat uns eingeladen, an ihrem Hof zu wohnen.«
    »Ist das wahr?« Herodias strahlte über das ganze Gesicht, und ihr Atem ging schwer, so, als sehe sie Berge von Schätzen vor Augen. Unwillkürlich tastete ihre rechte Hand über die schmucklose Kehle, die andere griff in ihre rotblonden Locken, die nicht so wohlgeordnet waren wie sonst. »Wunderbar. Wir werden leben können, ich meine, richtig leben.«
    Salome freute sich, dass ihre Eltern einmal einer Meinung waren, noch dazu derselben Meinung wie sie. Darum konnte sie auch nicht verstehen, weshalb ihre Mutter traurig zurück zur Tür blickte, aus der sie eben gekommen war, und flüsterte: »Nur schade, dass …« Mehr konnte sie nicht verstehen.
    »Was sagst du da?«
    »Nichts, mein Kind, gar nichts«, beteuerte Herodias und lächelte wieder.
    Nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren, hörten sie Stimmen, die wirr durch den Palast riefen, und die Schritte vieler Menschen, die rannten. Ein Diener kam auf sie zugelaufen.
    »Herrin!«, rief er außer Atem. »Der edle Archelaos bittet alle Familienmitglieder, in den Thronsaal zu kommen.«
    »Warum? Was ist geschehen?«
    »Das Volk«, erklärte er, »es

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