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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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über das dunkle Funkeln des Meeres hinweg. »In der Nacht leuchten die Sterne, und die Sterne sind meine Freunde. Sie schweigen, und doch sprechen sie zu denen, die wie sie sind. Sie strahlen, und doch prahlen sie nicht. Sie sind rein, und doch putzen sie sich nicht.«
    Er schwieg eine Weile, ohne sich zu bewegen. Salome trat vorsichtig näher.
    »Ich hasse Putz. Ich hasse geputzte Menschen. Ich hasse den Tand an ihnen, das glänzende Geschmeide, das nur ablenken soll von dem Schmutz in ihren Herzen. Wenn ich sie schon sehen muss, dann am liebsten so, wie sie nachts erscheinen: Umrisse, fahle Gesichter, frei von Tand. Dämonen erkennt man nur in der Nacht, wenn sie ihre Tarnung abgelegt haben, weil sie sich sicher wähnen. Darum liebe ich die Nacht, und wegen der Sterne.«
    Noch immer blickte er in die Dunkelheit. »Komm näher«, rief er. »Ich bekomme nicht häufig Besuch von Verwandten, musst du wissen. Antonia, meine Schwägerin, kommt gelegentlich vorbei, doch sie ist spröde wie ein zu lange gebackenes Brot. Und ihr Sohn Claudius, ein zuckender Trottel, bei dem man aufpassen muss, dass er einen nicht mit seiner triefenden Nase bekleckert. Nicht zu vergessen Caligula, meinen Großneffen, der mit seinen Schwestern schläft und mich während seiner Besuche wie ein Geier ansieht, der nur darauf wartet, dass das Aas endlich seinen letzten Atemzug tut. Und nun also du, eine Liebhaberin schamloser Tänze und abgeschlagener Köpfe. Eigentlich kann man dich nicht dazuzählen. Wir sind ja nicht wirklich verwandt.«
    »Augustus, dein Vorgänger, hat die unmittelbar von Herodes abstammende Familie in die seine aufgenommen«, beharrte Salome. »Ich bin die Enkelin von Herodes. Daher ist es mein Recht, mich deinem Gericht zu unterstellen, Caesar.«
    Er ging nicht darauf ein. Langsam, fast versonnen, fragte er: »Sag, ist es wahr, dass Herodes einst Kinder abschlachten ließ, weil er in ihren Reihen einen gefährlichen König vermutete? Dass er sogar über dich den Dolch hielt?«
    »Das stimmt, Caesar.«
    »Und trifft es zu, dass Archelaos mit Schwertern auf eine Menschenmenge einschlagen ließ, die sich auf einem Tempelgelände versammelt hatte?«
    »Auch das ist wahr, Caesar.«
    »Und Antipas? Hat er dir wirklich ein halbes Reich geboten, falls du vor ihm tanzt?«
    Tiberius war gut informiert. »Ja, das hat er, Caesar.«
    »In diesem Fall«, sagte er trocken, »ist deine Familie tatsächlich mit meiner verwandt, wenn nicht durch Blut, so doch im Geiste.«
    Endlich wandte er sich um und sah sie an. Die Lippen spannten sich zu einem dünnen, freudlosen Lächeln über sein zerfurchtes Gesicht. Er sah aus wie ein Mensch, der viel Elend und noch mehr Bosheit in seinem mehr als siebzigjährigen Leben gesehen hat. Salome hatte an den Höfen in Judäa nur Bruchstücke dessen mitbekommen, was in Rom vorgefallen war; sie wusste allerdings, dass Tiberius unter Augustus und Livia hatte leiden müssen, dass sein einziger Sohn einem Giftanschlag zum Opfer gefallen war, dass Freunde sein Vertrauen missbraucht und sich vor einigen Jahren sogar gegen ihn verschworen hatten.
    »Nein«, sagte er halblaut. »Du bist kein Dämon, sonst würde ich es sehen. Aber er ist einer.«
    »Wer?«, fragte sie.
    »Caligula. Ich nenne ihn auch manchmal mein Lieblingsmonster. Er wird mein Nachfolger. Du hast Glück, dass ich es bin, der über dich richtet, nicht das Monster.«
    Salome verstand, dass Tiberius damit zum eigentlichen Zweck der Begegnung überleitete. »Ich erwarte ein Kind, Erhabener«, sagte sie. »Es ist von dem Mann, den ich liebte. Doch er ist tot, ein Opfer des jüngsten Aufstandes in Jerusalem. Mein Gemahl Philipp wusste von der Liebe. Er hat sie gebilligt, sogar gutgeheißen, damit er sich seiner eigenen Liebe zuwenden konnte. Du siehst, Erhabener, ich verdiene den Tod nicht.«
    »Doch«, konterte Tiberius. »Wie wir alle.« Er wandte sich wieder der Dunkelheit zu. »Wer immer uns erschaffen hat, war klug genug, unsere Lebenszeit zu begrenzen. Mit viel Glück werden wir achtzig Jahre alt, wahrlich keine lange Zeit angesichts der Jahrtausende. Trotzdem schaffen wir es in so kurzer Zeit, uns das Leben gegenseitig zu vergällen. Wir lügen und betrügen, wir neiden und missgönnen, wir morden, führen Kriege und schlachten Menschen ab und behaupten dabei auch noch, dies alles zum Wohle von irgendwem oder irgendwas zu tun. Habgier und Egoismus halten uns in ihrem Würgegriff. Würden wir ewig leben, es wäre furchtbarer als die schlimmste

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