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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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einen Schatz von Erzählungen. Allerdings gab es nicht nur Unterhaltsames. Vorschriften und Gebote und Bestrafungen füllten ganze Rollen, und Nacht für Nacht schrien ihr glühende Propheten aus den Seiten Mahnungen und Warnungen entgegen. Manchmal träumte sie schlecht, und dann musste sie sich am nächsten Abend überwinden, wieder zur Rolle zu greifen. Doch sie fürchtete, wenn sie einmal mit dem Studium aufhörte, würde sie nie wieder damit anfangen. So las sie, gleichgültig ob sie sich dabei quälte, ärgerte oder amüsierte. Wenn sie etwas nicht verstand, ging sie damit nicht etwa zu ihrem Vater, der ihr leicht hätte helfen können, und auch zu sonst niemandem. Nicht nur, dass sie ihr heimliches Tun damit verraten hätte, sie wollte es sich auch nicht leicht machen. Lieber grübelte sie eine ganze Woche nach und las bestimmte Stellen dreimal, viermal oder sogar fünfmal, als sich etwas erklären zu lassen.
    »Was dir jemand schenkt, macht dich schwach«, hatte ihr die alte Akme eingeschärft und hinzugefügt: »Nur, was du dir mit eigener Mühe erarbeitet hast, gibt dir wahre Macht.«
    Daran hielt sie sich. Doch trotz Geduld und beharrlichem Lesen und Lernen gab es noch so manche Lücke in ihrem Verständnis des Textes, zumal Theudion seine Rollen mit nach Jebna genommen hatte. Ihr fragmentarisches Wissen könnte ihr bei dem heutigen Vorhaben zum Verhängnis werden.
    Wieder war sie an einem wichtigen Punkt in ihrem Leben angelangt, und ihr blieb nur, sich zu stellen oder sich selber mit Ausreden zu vertrösten und abzuziehen.
    »Das kommt nicht in Frage«, murmelte sie und trat erneut an die Tür. Was konnte schon passieren? Schlimmer als jetzt konnte sie nach diesem Versuch nicht dastehen. Bevor ihr die Aufregung wieder zusetzen konnte, trat sie wie ein frischer Wind in den cheder ein.
    Der Raum war klein, kaum sieben Schritte von der einen zur anderen Seite, doch das makellose Weiß der Wände ließ ihn größer wirken. Hinter dem einen Fenster glänzten die Blätter einer Dattelpalme, das andere wurde von breiten Sonnenstrahlen ausgefüllt, die auch über den Köpfen der Schüler lagen. Sieben Jungen in unterschiedlichem Alter saßen im Halbkreis hinter ihren Pulten, auf denen aufgeschlagen ihre siddurot lagen. Als Salome eintrat, sahen sie wie auf Befehl von den Gebetbüchern auf, starrten sie an und kicherten.
    »Ha«, rief Zacharias sie zur Ordnung und brachte ihre Köpfe dazu, sich wieder über die Worte des Einen Gottes zu beugen. »Wer noch einmal die Frechheit besitzt, dieses Mädchen statt Gott zu schauen …«, drohte Zacharias, ohne seinen Satz zu vervollständigen. »Und nun zu dir.«
    Er verließ seine Position zwischen den beiden Fenstern und trat nahe an Salome heran. Seine Gestalt hatte sie stets beeindruckt, solange sie ihn kannte. Und sie kannte Zacharias schon, seit sie auf der Welt war. Er war Kephallions Vater, also auch ein Verwandter, der es an sich nicht nötig gehabt hätte zu lehren. Doch seine genaue Kenntnis der Schrift Gottes in Verbindung mit seiner vornehmen Stellung und der ihm eigenen Frömmigkeit machte ihn zu einer Idealbesetzung für den Posten des melammeds , des Lehrers, und zugleich für das des Rabban , eines Schriftgelehrten. Hoch aufgeschossen, schlank, mit langem, grauem Kinnbart und ersten Altersfalten, war er zudem die Verkörperung von Würde. Salome wusste, dass er es mit dem Glauben genau nahm.
    »Ich unterstelle dir den Verstand zu wissen, dass du nicht hierher gehörst. Wenn du also keine gute Erklärung für dein Eindringen hast …« Er ließ den Satz mittendrin ausklingen.
    »Verzeih mir, Rabban , ich habe durchaus das Gefühl, hierher zu gehören. Ich kann nichts dafür, es ist einfach da.«
    Kephallion kicherte, doch nicht lange.
    »Ein Tag zusätzliches Studium der thora «, erlegte sein Vater ihm auf.
    »Aber Vater, ich …«
    »Noch zwei Tage zusätzliches Thorastudium. Einen für deinen Widerspruch und einen dafür, dass du mich hier drin Vater genannt hast. Im cheder bin ich nichts als dein melammed und Rabbiner , dein Lehrer.«
    »Drei Tage?«, stöhnte Kephallion.
    »Sieh mal an, du machst Fortschritte im Rechnen.« Nun kicherten die übrigen Schüler über Kephallion, doch Zacharias bestrafte sie deswegen nicht. Der kurze, feindliche Blick, den sein Sohn nun Salome zuwarf, brachte Zacharias wieder auf die Ursache der Aufregung zurück.
    »So, du meinst also, hierher zu gehören?«, fragte er fast amüsiert. Die Bestrafung seines Sohnes schien

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