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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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verschreckte; schnatternd flatterte das Federvieh in den nahe gelegenen Teich zurück.
    »Siehst du«, sagte Timon, »wir trinken zu viel und benehmen uns daneben, das meinen auch die Enten.«
    »Heute ist der Erinnerungstag des Weinlesefestes«, erklärte Salome.
    »Ist das so etwas wie die römischen Bacchanalien? Betrinken die Juden sich an diesem Tag?«
    Salome dachte einen Moment über die Frage nach, sah Timon ernst an und antwortete: »Nein.«
    Erneut lachten sie, bis sie vor Erschöpfung ächzten und kraftlos in die dahinziehenden Wolken über ihnen blickten. Ab und an hob Salome den Kopf und vergewisserte sich, dass niemand sie sah. Gewiss, sie hatten sich eine abgelegene Stelle für ihren Umtrunk ausgesucht und den heutigen Festtag verbrachten die Juden in der Regel ohnehin außerhalb der Städte, möglichst dort, wo Weinlesen stattfanden.
    Sie wusste, dass sie unvernünftig war, doch an diesem Tag sollte ihr das egal sein. Sie war jung, sie war angetrunken, sie hatte ein Recht, unvernünftig zu sein, wenigstens heute, wenigstens für diese paar Stunden. Der Sommer war schon fast gegangen, war Timon es auch? Es war so wenig zwischen ihnen geklärt worden, fast nichts. Nachdem sie wochenlang gefühlt hatte, dass sie sich immer näher kamen, war Timon seit einigen Tagen wieder merkwürdig distanziert. Ja, er verbrachte noch immer viel Zeit mit ihr, lehrte sie weiterhin, trieb Späße mit ihr wie den Diebstahl des Weins und lag mit ihr im Gras. Er berührte sie allerdings fast nicht mehr und mied die unmittelbare Nähe. Nahm er nur Rücksicht auf die hiesigen Bräuche? So musste es sein. Er liebte sie. Was sonst hielt ihn in dieser Stadt am Rande Judäas, in der er nichts als Psalmen und längst verhallte Worte von Propheten lernen konnte und in der selbst der Hof wegen der Abwesenheit der Tetrarchin glanz- und ereignislos vor sich hindämmerte? Sie musste ihn fragen.
    »Wie lange bleibst du noch in Ashdod, Timon?«
    Er richtete sich auf, zögerte. »Ich … ich wollte noch eine Weile bleiben. Schließlich habe ich deine Großtante noch immer nicht kennen gelernt.«
    Das war nicht die ideale Antwort, die sie sich erhofft hatte; doch wenigstens ging er noch nicht fort.
    »Du bist ja ganz versessen darauf, sie zu treffen.«
    »Treffen?«, wiederholte er. »Das ist das richtige Wort. Genau genommen will ich sie tatsächlich treffen, und zwar seit langer Zeit.« Nach einer Pause fuhr Timon zögerlich fort: »Angenommen, du würdest erfahren, dass deine Großtante etwas Schlimmes getan hat, etwas, das du ganz und gar nicht gut finden würdest …«
    »So etwas ist fast nicht möglich.«
    »Wenn aber doch!«
    »Zum Beispiel?«
    »Ein Mord.«
    »Eine Hinrichtung, meinst du?«
    »Nein, einen Mord. Und zwar an einem harmlosen Mann, der ihr nichts getan hat.«
    Nun richtete auch Salome sich auf. Sie runzelte die Stirn. »Wenn der Mann ihr nichts getan hat, wieso sollte sie ihn ermorden?«
    »Vielleicht steht er ihr im Weg? Vielleicht hat er etwas, das sie will?«
    »Sie hat doch alles, was sie will: Land, Macht, Gold …«
    »Vielleicht will sie noch mehr von allem, vielleicht ist es das, wonach sie strebt.«
    »So ein Unsinn«, schimpfte Salome. »Diese Frage ist dermaßen hypothetisch, dass mir die Einbildungskraft für ihre Beantwortung fehlt.«
    Sie ließ sich ein wenig ärgerlich ins Gras fallen und blickte einer Wolke nach, die der Wind über sie hinwegtrieb. Sie sah Timon nicht mehr an, obwohl sie spürte, dass er genau das jetzt wollte. Was redete er auch für ein dummes Zeug daher! Immerzu musste er auf ihrer Familie herumhacken. Ein Mord an einem Mann! Welcher Mann denn?
    Da fiel ihr etwas ein. »Der Mann auf der Zeichnung! Hat der etwas mit deiner Frage zu tun?«
    Timon druckste herum: »Vergiss einfach, was ich gesagt habe.«
    »Nein«, beharrte Salome. »Nein, das will ich nicht, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass mit diesem Mann und dir irgendetwas nicht stimmt. Ihr kennt euch, nicht wahr? Ist er verantwortlich für die Narbe? Du bist auf der Suche nach ihm, und Akme soll dir dabei helfen. So ist es doch. Nun rede schon, du weißt doch, dass du mir alles erzählen kannst …«
    »Alles?«
    »Sagte ich doch.«
    »Und du wirst mit niemandem darüber sprechen?«
    Im ersten Moment machte sie ein empörtes Gesicht, dann wurde ihre Stimme sanft, fast zerbrechlich. »Wie kannst du nur so etwas von mir denken, Timon? Ich habe dir so viel zu verdanken, und damit meine ich nicht nur die schönen Kleider, die

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