Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen
wie einen Freigänger. Schmalenbach wusste sofort, worüber sie vier Kannen Tee lang geredet hatten.
Er flüchtete sich ins »Promi«. Da er um diese Zeit der einzige Gast war, vertiefte Schmalenbach sich in den Artikel einer renommierten Eheberaterin. Die Ärztin gab ihren Leserinnen detaillierte Anweisung zur erfolgreichen Vortäuschung eines Orgasmus.
Da stand plötzlich Pfeifenberger neben ihm. Schmalenbach faltete blitzschnell die Zeitung zusammen.
Als Pfeifenberger bestellte, rief er dem Wirt zu:
»Schmalenbach hat doch was, findest du nicht auch?«
Bevor es noch schlimmer kommen konnte, beugte Schmalenbach sich etwas vor und flüsterte: »Es gibt da ein Problem, ein sexuelles Problem – mit Elke. Sie hat seit drei Tagen keinen Orgasmus mehr gehabt.«
Pfeifenberger wirkte erleichtert. »Wenn’s nur das ist.«
Dann nachdenklicher: »Seit drei Tagen, sagst du?«
Schmalenbach nickte heftig. »Aber sie sagt, es liegt nicht an mir!«, beteuerte er.
Pfeifenberger winkte ab. »Das sagen sie alle. Aber drei Tage, Mensch, Schmalenbach, das ist doch noch kein Beinbruch, da hast du doch noch ’ne echte Chance. Germersheimers Frau zum Beispiel, die hat mal eine ganze Woche keinen Orgasmus gehabt. Was meinst du, was da los war! Der Junge war echt fertig, und, wenn du mich fragst, er hatte allen Grund dazu.«
Schmalenbach spürte, wie sich sein Hals zuschnürte.
»Stimmt«, stotterte er. »Da bin ich ja noch gut bedient.«
Pfeifenberger wurde ernster. »Auf die leichte Schulter darfst du so was natürlich nicht nehmen. Pass auf, ich sage dir, was du zu tun hast …«
»Hast du das Problem denn auch schon gehabt?«
Pfeifenberger sah ihn entgeistert an. »Ich? Die Ärztin meiner Frau rät ihr seit Jahren, sich etwas zurückzunehmen – wenn du verstehst, was ich damit meine …«
Schmalenbach verstand nicht, aber er nickte.
»Du gehst einfach mal mit Elke in die Oper. Am besten etwas Italienisches, Lucia di Lammermoor oder so, in der Pause gibt’s Prosecco und Kaviar. Anschließend zum Italiener, aber nichts Billiges. Zum Abschluss spendierst du ihr vier oder fünf ›Pina Colada‹. Daheim legst du Joe Cocker auf und dimmst das Licht. Du erzählst ihr irgendeinen erotischen Traum, am besten einen aus einem Frauenratgeber. Dann trägst du sie ins Schlafzimmer, und schon geht die Post ab …«
Schmalenbach nahm einen tiefen Schluck und sagte mit belegter Stimme: »Genau, so mach ich’s!«
»Nur auf eines musst du unbedingt achten: Während Elke die ›Pina Colada‹ reinpfeift, nimmst du ’ne Cola oder ein kleines alkoholfreies Bier, aber keinesfalls ›Malcolm Lowry‹ oder so was, sonst schläfst du nämlich garantiert ein, sobald sie auf Touren ist …«
»Hältst du mich für blöd, oder was?«, fuhr Schmalenbach ihn an. Dann bezahlte er und verabschiedete sich. Als er in der Tür war, rief Pfeifenberger hinterher: »Du machst das schon!« Der Wirt zeigte das Victory-Zeichen.
Elke lag schon im Bett und studierte den Bestseller Wenn Männer versagen und es nicht wahrhaben wollen. Schmalenbach nahm ihr das Buch weg und warf es in die Ecke.
»Es hat wirklich nichts mit dir zu tun, eine Freundin hat’s mir ausgeliehen«, beteuerte Elke.
»Das ist mir egal«, sagte Schmalenbach. »Ich kann nur so nicht mehr weitermachen. Unsere Beziehung ist am Ende.«
»Aber wieso denn das?«
»Ich kann nicht mit einer Frau zusammenleben, die keinen Orgasmus hat.«
»Millionen anderen Männern ist so was egal, die machen einfach weiter, als ob nichts wäre.«
»Ich bin nicht Millionen andere Männer!«, fuhr er sie an. »Ich bin sensibel, dass das klar ist!!! Und mich macht es fertig, wenn du leidest.«
»Aber ich leide doch gar nicht. Ich bin doch eher … fatalistisch, Schmalenbach. Und jetzt komm ins Bett, wir müssen morgen früh raus.«
Sie lagen noch lange schweigend nebeneinander und starrten in die Dunkelheit.
Dann geschah es.
»Siehste«, sagte Elke danach. »Es geht doch.«
Diesmal war Schmalenbach den Tränen nahe. »Mach mir nichts vor: Du hast den Artikel gelesen, wie man erfolgreich einen Orgasmus vorspielt?«
Elke richtete sich auf. »Aber es war doch gut gespielt, oder? Und ein gut gespielter Orgasmus ist allemal besser als ein schlechter echter. Das sagen jedenfalls meine Freundinnen.«
»Die wissen es also auch schon«, seufzte Schmalenbach.
»So was kann man doch nicht verschweigen«, flötete Elke, dann gähnte sie und schlief ein.
Schmalenbach lag die ganze Nacht wach.
Am nächsten
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