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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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schwöre, alles hatte seine Ordnung. Wir Helikopterpiloten wissen, was wir der Allgemeinheit schuldig sind.«
    Doch Elke war in Fahrt. »Was ist mit dem Foto, Schmalenbach? Los, spuck’s aus!«
    »Nichts. Es ist wunderschön. In einem halben Jahrhundert wird man sich noch daran erfreuen. Ich finde nur … es ist etwas indiskret.«
    »Indiskret?«, fragte Elke.
    »Ja, schau doch mal genau hin! Du bist nackt. Splitterfasernackt.«
    Hutmacher wurde nervös. »Diese Helikoptergeschichten darf man nicht überbewerten. Was ist das schon: eine x-beliebige Luftbildaufnahme. Der Herr hat Recht: Das kann im Grunde jede Wohnung sein. Und irgendeine Dame bei der Hausarbeit …«
    »Nackt?«, schrie Elke auf. »Ich werde dafür sorgen, dass Ihresgleichen das Handwerk gelegt wird.«
    Hutmacher hob beschwichtigend beide Hände. In seiner Goretexjacke sah er aus wie eine Schaufensterpuppe:
    »Vergessen Sie den Helikopter! Was halten Sie davon: Ich besorge Ihnen einen erstklassigen, handgefertigten, original bauernbemalten, emailleverzierten …«
    »Sagen Sie’s!«, triumphierte Schmalenbach. »Sagen Sie’s!«
    »… Kachelofen«, sagte Hutmacher.

Das Orgasmusproblem
     
    Elke sagte, es sei ihre Sache und Schmalenbach könne nichts dafür und es komme auch nicht darauf an, weil andere Dinge viel wichtiger seien: Vertrautheit, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit.
    Schmalenbach war Elke dankbar. Er konnte ohne größeren Schaden weiterleben, was er auch tat – etwas klamm zwar, aber entschlossen, wie es seine Art war, wenn er wieder einmal haarscharf einer Katastrophe entgangen war.
    Schmalenbach ging also seiner Wege, als wäre nichts passiert. Er stand morgens auf, putzte sich die Zähne, frühstückte, fuhr zur Arbeit, flirtete mit Annelie Burgmeister, der schönsten Frau der Etagen vier bis sieben, aß in der Kantine zu Mittag, telefonierte mit Pfeifenberger, um die Neuigkeiten über die Bodybuilderin aus Darmstadt zu erfahren, begegnete auf dem Parkplatz dem Literaten Germersheimer, der gerade vom Bahnhofskiosk kam, wo er wegen seines neuesten Romans über den Dreißigjährigen Krieg recherchiert hatte, fuhr nach Hause, aß, las ein Buch oder ging ins »Promi«, sah die Tagesthemen und schlief vor dem Fernseher ein – aber er vergaß nie, dass Elke seit vierzehn Tagen keinen Orgasmus mehr gehabt hatte.
    Auch wenn Elke drauf bestand, dass er nichts damit zu tun hatte – man musste der Armen doch irgendwie helfen.
    Schmalenbach führte seine Lebensgefährtin in die Oper, etwas Italienisches (Lucia di Lammermoor). In der Pause spendierte er Prosecco und zwei Kaviarkanapees. Anschließend gingen sie zum teuersten Italiener (luftgetrocknete Thunfischfilets auf Feldsalat) und schließlich noch in eine Bar, wo Elke in einem Anfall von Mittelamerika-Fieber fünf »Pina Colada« trank (75 Euro). Daheim legte Schmalenbach die Joe-Cocker-CD auf und dimmte das Licht. Er erzählte Elke von seinem letzten erotischen Traum – dem mit der Achterbahn und Diana Rigg und dem Latex-Body. Dann trug er sie ins Schlafzimmer, warf sie aufs Bett. Elke atmete schwer – wie damals, vor mehr als vierzehn Tagen, als sie den letzten Orgasmus gehabt hatte.
    Schmalenbach stürzte sich auf sie. Dann taten die vier »Malcolm Lowry« ihre Wirkung, die er in der Bar getrunken hatte: Er schlief ein.
    Dennoch war Elke am nächsten Morgen guter Dinge. Sie stellte das Radio lauter und siedete mitten in der Woche Eier. Schmalenbach versuchte angestrengt, sich zu erinnern, und erkundigte sich dann bei Elke, ob sie am Vorabend vielleicht zufällig einen Orgasmus gehabt hatte. Elke verschluckte sich am Frühstücksei, dann aber packte sie Schmalenbachs Hand und streichelte sie nervös.
    »Du Guter!«, brachte sie noch hervor. Unter Tränen stürzte sie ins Badezimmer.
    Schmalenbach rüttelte minutenlang an der Türklinke.
    »Hast du nun oder hast du nicht?«, schrie er mehrmals. Als Elke dann endlich rauskam, war sie dick geschminkt und wirkte gelassener. Sie strich Schmalenbach mütterlich über die Haare.
    Schmalenbach hatte an diesem Tag nicht mal Augen für Annelie Burgmeister. Die Krautwickel in der Kantine, die er sich sonst nie entgehen ließ, zermanschte er mit dem Flockenpüree und gab alles zurück. Er konnte sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren und trottete schon um drei nach Hause.
    Im Wohnzimmer saß Elke mit ihren beiden besten Freundinnen, sie knabberten Salzgebäck und tranken schon die vierte Kanne Tee. Die Freundinnen starrten Schmalenbach an

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