Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen
Scheibenwischer wieder ab. Der Punk deutete eine Verbeugung an und begann von neuem, Schmalenbachs Frontscheibe zu wischen.
Schmalenbach schwitzte. »Wenn er’s nicht schafft, bevor die Ampel auf Grün springt … dann bin ich ein verdammtes Verkehrshindernis.«
»Angsthase!«, zischte Elke.
Der Punk malte zwei Herzen auf die Scheibe. Dann rieb er trocken. Er machte seine Sache ordentlich. Schmalenbachs Scheibe war schon lange nicht mehr so sauber gewesen.
Schmalenbach gab sich geschlagen. »Hast du Geld dabei?«, fragte er Elke. »Ich habe nicht einen Cent in der Tasche.«
Der Punk hauchte eine unsaubere Stelle noch mal an und lederte nach.
»Ich habe auch nichts eingesteckt«, sagte Elke. »Wir wollten doch nur zum Container.«
Schmalenbach war außer sich. »Jetzt kann ich dem Jungen nicht mal zehn Cent geben. Ich bin doch kein Unmensch. Wer weiß, wie er reagiert …«
»Also, ich würde toben, wenn man mich derart bescheißen würde«, ereiferte sich Elke.
Schmalenbach kurbelte die Scheibe herunter. »Sorry, aber ich habe kein Geld dabei.«
Der Punk breitete die Anne aus und lächelte entwaffnend. Dann deutete er einen Handkuss an.
Schmalenbach fand sich selbst unsagbar kleinkariert. Der Junge stand von morgens bis abends in der Kälte und in den Abgasen und schrubbte den Dreck von den Windschutzscheiben der Spießer – und er hatte nicht mal einen Euro für ihn dabei. Auf Schmalenbach lag die ganze Last seiner kleinbürgerlichen Existenz, das schwere und oft verleugnete Erbe seiner Eltern, die Borniertheit seiner Kindheit.
Schmalenbach wäre am liebsten aus seinem Wagen gesprungen und hätte den sympathischen Punk umarmt. Aber da ertönte hinter ihm ein infernalisches Hubkonzert, Scheiben wurden heruntergekurbelt, unsägliche Kraftausdrücke waren zu hören. Die Ampel stand auf Grün.
Schmalenbach gab Gas, der Motor heulte auf, aber der Wagen kam nicht von der Stelle. Es war wie verhext. Hinter ihm stieg ein Muskelmann in eng anliegender Lederjacke aus und krempelte demonstrativ die Ärmel hoch. Seine blonde Freundin – braun gebrannt und ebenso eng anliegend wie er – schrie: »Nein, Vinzenz, nicht schon wieder Körperverletzung, das letzte Mal war ich sechzehn Monate allein …«
Schmalenbach schwitzte Blut, und gleichzeitig sah er das unschuldige Lächeln des Punks. »Den Gang einlegen!«, sagte der Junge und nickte Schmalenbach aufmunternd zu.
»Vielleicht möchte er eine Zigarette?«, fragte Elke.
Das wäre wenigstens eine Geste der Güte – wenn auch eine sehr schwache.
»Möchten Sie eine Zigarette?«, fragte Schmalenbach.
»Warum nicht?«, sagte der Punk.
»Es ist meine letzte. Sag ihm das!«, zischte Elke.
Der Vorbestrafte klopfte gegen die Heckscheibe. Wieder quietschten Reifen, dann krachte es. Der Vorbestrafte lief rot an. Ein Volvofahrer hatte das Heck seines BMWs eingedrückt. »Vinzenz!«, schrie die Sonnenstudio-Schönheit. »Reg dich bitte nicht auf!«
Vinzenz aber pumpte bereits seinen Oberkörper auf.
Elke legte für Schmalenbach den Gang ein, sein Wagen schoss davon. Schmalenbach sah noch, wie die Ampel wieder auf Rot wechselte.
»Das war meine letzte Zigarette«, wiederholte Elke.
»Ja. Und?« Schmalenbach sah im Rückspiegel, wie der Vorbestrafte und der Volvo-Fahrer aufeinander einschlugen. Die Blondine zog sich derweil im Seitenspiegel die Lippen nach.
»Ich meine, das ist doch das Mindeste an Erziehung, dass man dankend ablehnt, wenn einem die letzte Zigarette angeboten wird«, fauchte Elke. Schmalenbach hörte eine Polizeisirene.
»Jetzt zum Beispiel habe ich eine unbändige Lust auf eine Zigarette«, jammerte Elke. »Aber ich habe keine, weil du meine letzte diesem Schnorrer gegeben hast.«
Schmalenbach warf das Papier in den Container. Im Wagen stieß Elke einen spitzen Schrei aus. Kurz darauf zerrupfte sie eine zerbeulte Packung aus dem Handschuhfach. Zum Vorschein kam eine einzelne, schon ganz windschiefe Zigarette. Elke steckte sie zitternd an und inhalierte genüsslich wie nach langer Kriegsgefangenschaft.
»Du hattest noch zwei Zigaretten, hast dem Jungen aber keine gegönnt.«
Elke inhalierte obszön lange und tief. »Ich hatte nur noch eine. Diese!«
Schmalenbach stockte der Atem. »Und das Päckchen, das ich ihm gegeben habe?«
Elke zuckte mit den Achseln und schaute versonnen in die billige Glut. »Wahrscheinlich leer. Ich hab’s verwechselt.«
»Was?«, schrie Schmalenbach. »Sag, dass das nicht wahr ist!«
Sie machte wieder einen Zug
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