Die Schlucht
sicherlich freuen wirst.«
Als sie das geräumige Zimmer betraten, saß Lord Bullerton in einem antiken Stuhl vor einem mit Papieren übersäten Schreibtisch.
Er stand auf und ging, ohne auch nur im Geringsten zu hinken, auf seine Besucher zu.
»Willkommen, Tweed, willkommen, Miss Grey. Sie hätte ich heute nicht mehr erwartet. Was ist, trinken Sie zur Feier des Tages einen kleinen Scotch mit mir?«
»Vielen Dank«, antwortete Tweed, »aber wir sind mit dem Auto da.«
»Schade«, sagte Bullerton. Er griff nach dem halbvollen Glas auf seinem Schreibtisch und trank es in einem Zug aus. »Wie ich hörte, hatten Sie einen Unfall«, sagte Tweed. »Stimmt es, dass Sie vom Pferd gefallen sind, als Sie über eine Hürde springen wollten?«
»Ach, das ist nicht der Rede wert«, erwiderte Bullerton, während er sich einen neuen Scotch einschenkte. »Wer so viel reitet wie ich, fällt eben hin und wieder auch mal runter. Da darf man nicht zimperlich sein.«
»Ihr Sohn sagt, dass der Sattelgurt gerissen sei.«
»Na und? Der Sattel war schon alt …«
»Glauben Sie nicht, dass da jemand nachgeholfen hat?«
»Aber ich bitte Sie, Tweed. Sie sehen Gespenster.«
»Sie dürfen mir glauben, dass ich in solchen Dingen einiges an Erfahrung habe. Ihr Sattelgurt wäre nicht der erste, den jemand angeschnitten hat, damit er bei der nächsten größeren Belastung durchreißt.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Bullerton und machte ein erschrockenes Gesicht. Offenbar wurde ihm erst jetzt die Tragweite von Tweeds Worten bewusst. Er stellte sein soeben gefülltes Glas auf den Schreibtisch und ließ sich in einen nahen Sessel fallen. Sein normalerweise stark gerötetes Gesicht war auf einmal aschfahl. »Aber wer sollte denn so etwas nur tun?«, fragte er.
»Da kommen einige Leute infrage. Und zwar aus den unterschiedlichsten Motiven …«
Er hörte auf zu reden, weil die Tür aufging und Harry Butler hereinkam. Er hatte einen jungen Mann bei sich, dem er den rechten Arm auf den Rücken gedreht hatte. Der junge Mann, den Paula auf Anfang zwanzig schätzte, hatte zerzaustes schwarzes Haar und trug einen dunklen Anzug, der auch schon bessere Tage gesehen hatte.
»Das ist ja Jacko!«, rief Lord Bullerton erstaunt. »Lassen Sie ihn sofort los.«
»Er hatte es verdammt eilig, vom Haus wegzukommen«, erklärte Butler. »Da habe ich ihn mir geschnappt und hierhergebracht.«
»Ich wollte nur zu meiner Freundin«, wimmerte Jacko. »Sie mag es nicht, wenn ich zu spät komme …«
»Sie haben doch sicher von Lord Bullertons Reitunfall gehört«, unterbrach ihn Tweed schroff. »Haben Sie ihm heute früh sein Pferd gesattelt?«
»Nein, Sir … Das habe ich nicht … Seine Lordschaft reitet normalerweise nie so früh aus … Ich war total entsetzt, als ich gehört habe, was passiert ist.«
»So, so, entsetzt warst du«, räusperte sich Butler, der Jackos Arm noch immer festhielt. »Und vor lauter Entsetzen wolltest du jetzt das Weite suchen.«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich zu meiner Freundin wollte«, erklärte der Stallknecht. »Sie ist wirklich etwas Besonderes …«
»Das sind sie alle. Bis man sie näher kennenlernt …«
»Harry, Sie können den Mann jetzt loslassen«, wandte Tweed sich an Butler, bevor er Jacko mit scharfen Blicken maß. »Wo waren Sie heute früh um sechs Uhr?«
»In der Scheune nebenan, Sir. Ich habe meine Arbeitskleidung angezogen.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Nein, Sir. Ich war allein. Schließlich war es ja noch sehr früh am Morgen.«
»Bringen Sie ihn wieder nach draußen, Harry«, sagte Tweed. »Und lassen Sie ihn zu seiner Freundin gehen. Aber zuvor notieren Sie sich seine Adresse.«
Bullerton stand auf und ging zum Schreibtisch, um einen Schluck von seinem Scotch zu nehmen.
»Für Jacko lege ich meine Hand ins Feuer«, sagte er.
»Wenn Sie sich da mal nicht verbrennen«, sagte Tweed leise. »Übrigens: Ich würde mich hier im Haus und in den Ställen gern ein wenig umsehen. Vielleicht finde ich ja Hinweise darauf, dass Ihr Unfall in Wirklichkeit ein Mordversuch war.«
»Muss das sein?«
»Wenn Sie etwas dagegen haben, kann ich mir auch einen Durchsuchungsbeschluss besorgen.«
»Sparen Sie sich die Mühe. Von mir aus können Sie hier alles von oben bis unten durchsuchen, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was Sie zu finden hoffen. Übrigens, in der Besenkammer in der Küche gibt es ein Geheimfach. Wenn Sie gegen die rechte Seite drücken, lässt es sich aufschieben. Darin
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