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Die Schlüssel zum Königreich 04 - Rauer Donnerstag

Die Schlüssel zum Königreich 04 - Rauer Donnerstag

Titel: Die Schlüssel zum Königreich 04 - Rauer Donnerstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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Krankenhausdach. Der Vordereingang war direkt vor ihr, aber mit zwei wütenden Nichtlingen im Nacken hielt Susi es nicht für angebracht, erst zu klopfen.
    Sie beugte sich, noch auf einem Fuß stehend, zum Vordereingang hin, schloss die Augen – und fiel geradewegs hindurch.
    In Erwartung eines Aufpralls legte Susi schützend die Arme um den Kopf. Aber nachdem mehrere Sekunden lang nichts passierte, öffnete sie die Augen und ließ die Arme sinken.
    Sie schwebte, möglicherweise fiel sie auch, in völliger Dunkelheit. Ihre Flügel regten sich nicht, aber im Innenohr hatte sie ein Gefühl von Bewegung. Sie konnte überhaupt nichts sehen, auch nicht, als sie verzweifelt den Hals verdrehte, um vielleicht einen Blick auf den Vordereingang zu erhaschen, durch den sie gerade gekommen war.
    Oh, oh, dachte sie. Sie hatte den Vordereingang noch nie zuvor benutzt und gedacht, sie käme einfach auf der anderen Seite auf dem Türstopper-Hügel heraus. Offensichtlich war es aber nicht ganz so einfach.
    Susi dachte kurz über ihre Lage nach, dann flüsterte sie: »Flügel, verbreitet Licht!«
    Sie war erleichtert, dass sie sich hören konnte, und noch mehr, dass sie sich gleich darauf sehen konnte, denn ihre Flügel fingen langsam an zu leuchten und statteten sie mit einem perlweißen Nimbus aus.
    Doch auch in diesem Licht war immer noch nicht mehr zu erkennen. Susi sah nach oben, nach unten und nach allen Seiten und hoffte auf ein Anzeichen, dass es ein Irgendwo … oder sogar ein Irgendetwas … in dieser seltsamen Leere gab.
    Als nichts zu entdecken war, schlug sie versuchsweise mit den Flügeln. Wieder hatte sie den Eindruck von Bewegung, doch ohne Bezugspunkte, an denen sie sich orientieren konnte, war sie sich nicht sicher, ob tatsächlich etwas geschah. Nach allem Anschein konnte sie genauso gut wie eine Fliege im Gelee feststecken und mit den Flügeln zappeln, ohne vom Fleck zu kommen.
    Susi zuckte die Schultern, entschied sich aufs Geratewohl für eine Richtung und fing an, energisch zu fliegen. Beträchtliche Zeit später – es mochten Stunden vergangen sein – fragte sie sich, ob sie es fertiggebracht hatte, sich tatsächlich im Vordereingang zu verirren beziehungsweise in einem Bereich zwischen dem Haus und der Tür, in dem zwar nicht das Nichts war, wo aber auch eine ausgesprochene Leere herrschte.
    Sie stellte das Flügelschlagen ein. Das Gefühl der Bewegung blieb, und Susi dachte erneut über ihre Lage nach. Ziellos herumzuflattern hatte zu keinem Ergebnis geführt, also musste sie etwas anderes tun.
    »He!«, rief sie. In dieser Stille klang das sehr laut. »Leutnant Hüter! Ich habe mich in Ihrer blöden Tür verirrt! Kommt her und helft mir heraus!«
    Keine Antwort. Susi schlug die Beine übereinander und nahm ein Käse-Senf-Brunnenkresse-Sandwich aus ihrem Hut. Genau wie der Hut war auch das Sandwich ziemlich zermatscht, aber Susi verzehrte es mit Genuss. Als Tintenbefüllerin hatte sie kaum jemals Zugang zu Speisen gehabt. Seit sie Montags Terz war und manchmal in die Speisekammern des Tagraums gelangte, hatte sie die Freuden der Nahrungsaufnahme neu entdeckt, auch wenn sie keine Lebensnotwendigkeit war.
    »Fräulein Türkisblau.«
    Susi sprang auf und ließ ihren Brotrest fallen. Sie fuhr herum und erblickte einen großen, außerordentlich gut aussehenden Bürger in einem taubengrauen Cutaway mit hohem Kragen, der über glänzenden Langschäftern schwarze Hosen mit rasiermesserscharfen Bügelfalten trug. Sein Zylinder war so blank, dass er das Licht von Susis Flügeln wie ein Spiegel reflektierte. Er hielt einen Stock mit silbernem Knauf in seinen in Glacehandschuhen steckenden Händen. Seine Schwingen, die hinter ihm eingerollt waren, bestanden aus gehämmertem Silber.
    »Wer seid Ihr?«, fragte Susi misstrauisch.
    »Das kann ich dir leider nicht verraten«, sagte der Bürger freundlich. Seine Zunge, bemerkte Susi, war von einem noch strahlenderen Silber als seine Flügel. »Ich darf dich bitten, mir den Schatz unseres Geistfressers zu übergeben. Wir wollen doch nicht zulassen, dass seine Arbeit unterbrochen wird, nicht wahr?«
    »Ihres Geistfressers?« Susis Blicke huschten hin und her, um zu sehen, wo dieser Bürger hergekommen war, oder um einen sonstigen Fluchtweg zu entdecken.
    »Unseres«, bekräftigte der Bürger. Seine Stimme war über die Maßen melodisch und angenehm zu hören. »Na komm! Gib mir die Tasche, und ich werde dir eine Stelle zeigen, wo du den Eingang verlassen kannst.«
    Susi

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