Die Schluesseltraegerin - Roman
vernahm ein Plätschern und dann einen Laut entsetzlicher Abscheu. Schließlich brüllte er nach oben:
»Da fass ich nicht mehr rein. Den Kopf kannst du mir abhauen, Friling Ansgar, aber da hinein fass ich nicht mehr. Das hat kein Fell, das Viech.«
Alle wichen sie einen Schritt zurück, auch Ansgar lief es kalt den Rücken hinunter.
»Zieht mich endlich raus aus der Hexengrube!«, schrie der Knecht.
Als er oben war, stieß Ansgar ihn grob beiseite und gebot den anderen, nun ihn hinabzulassen. Zögernd gehorchten die Männer.
Seinen unglaublichen Ekel überwindend, griff Ansgar – unten angekommen – seinerseits ins Wasser. Inga konnte nur seinen blonden Kopf in der Dunkelheit erkennen, und dann hörte sie auch ihn schreien. Es war kein Schmerzensschrei, sondern ebenfalls ein Laut des Entsetzens.
»Hoch, hoch, hoch!«, rief er.
Und die Männer zogen mit ganzer Kraft. Es war Schwerstarbeit, denn erstens wog allein Ansgar einiges mehr als der Knecht, und zum anderen hatte er noch eine Last dabei, von der niemand so ganz genau wissen wollte, was es war.
Inga stieg sofort der Geruch in die Nase, als Ansgar sich näherte. Doch sehen konnte sie noch immer nicht viel. Angewidert wandte sie sich ab. Erst als alle anderen die unterschiedlichsten Laute von sich gaben, welche allesamt Ekel und Abscheu zum Ausdruck brachten, drehte sie sich wieder vorsichtig um. Sie warf einen kurzen Blick auf das, was sie aus dem Brunnen gezogen hatten und was nun tropfnass auf dem Hof lag.
Dann lief sie eilig hinters Haus, um auf den Misthaufen zu speien.
VI
G ebt endlich Ruhe, ihr dummen Weiber«, herrschte Ansgar entnervt und setzte damit den lautstarken Bekundungen des Grausens ein Ende, die kurz nach dem entsetzlichen Fund den gesamten Hof erfüllten. Vornehmlich kam das Klagen von Seiten der Zwillinge, die, ohne den Blick von der Leiche zu nehmen, nichts weiter taten, als laut zu kreischen.
»Sie wird uns verfolgen! Über unseren eigenen Tod hinaus wird sie uns verfolgen!«, rief Berta und lief zu ihrem Bruder, der, die Arme in die Hüften gestemmt, mit einem entschlossenen, aber noch immer angewiderten Gesicht vor dem Brunnen stand.
»Sie wird noch deinen Kindeskindern erscheinen und deren Kindern und deren Kindern und deren Kindern …« Mit diesen Worten kam auch Gisela hinzu.
»Und sie wird sicherlich nichts Gutes im Schilde führen, ein böser Hausgeist wird sie sein, ein Fluch, oh nein, oh nein! Was sollen wir nur tun?« Das riefen die Zwillinge fast gleichzeitig und schlugen ihre kurz befingerten Hände vors Gesicht.
»Wie auch immer, eines steht fest: Die bleibt keine weitere Nacht auf meinem Grund«, sagte Ansgar. »Knecht, hol Sackleinen aus dem Schweinestall, so viel wir entbehren können. Schnell.« Und an seinen Bruder gewandt: »Gernot, wir bringen sie noch heute fort.«
»Wohin wollen wir sie bringen?«, fragte dieser.
Ansgar schaute düster in die Runde. Am liebsten hätte er sie irgendwo im Wald verbrannt oder tief vergraben. Aber das durfte er nicht wagen. Seiner Familie war zu trauen, aber auf die Verschwiegenheit des Gesindes konnte er nicht hoffen.
»Wir fahren sie ins Tal zu ihren Eltern. Die können für ein Grab sorgen«, antwortete er schließlich.
»Die werden denken, dass wir sie getötet haben«, erwiderte Gernot.
»Hat etwa einer von uns sie getötet?« Ansgar schaute in die Runde, und ohne eine Antwort abzuwarten, sagte er: »Sie ist selbst gesprungen. Grund genug dazu hatte sie. Und dass sie hier, auf unserem Hofe, in unserem Brunnen, ihrem Leben ein Ende gesetzt hat, zeigt einmal mehr, was für ein niederträchtiges Weib sie war.«
»Sie werden dennoch Wiedergutmachung fordern, der Töpfer und seine Frau«, meinte Gernot.
»Blutrache ist von solchen nicht zu befürchten. Die bekommen überhaupt nichts. Nicht eine Rübe. Soll ich etwa den Eindruck erwecken, dass ich mich schuldig fühle? Schimpfen werde ich sie, schimpfen, dass sie ihrer Tochter nicht mehr Anstand beigebracht haben.«
In diesem Moment kam der Knecht mit den Säcken zurück. Ansgar wies ihn und den zweiten Knecht an, sie zu zerreißen und die Tote darin einzuwickeln. Wenige Augenblicke später fuhren Ansgar und Gernot mit dem Pferdegespann davon, auf der Ladefläche die tote Uta.
Inga hatte die ganze Zeit nur still und kreidebleich neben Ada auf der Bank vor der Hauswand gesessen und zugehört. Uta war nicht selbst gesprungen, das wusste sie. Uta war an den Haaren zum Brunnen geschleift und dort hineingeworfen
Weitere Kostenlose Bücher