Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
Vom Netzwerk:
vorsichtig rüttelte. »Komm, Liebes, mach die Augen auf. Nur ein bisschen trinken, das ist alles.«
    Wieder nur ein Stöhnen. Panisch blickte Grace zur Tür und lauschte. Noch waren keine Schritte zu hören, doch lange würde ihre Mutter nicht wegbleiben. Außerdem konnten jederzeit die Dienstmädchen mit dem Wasser kommen.
    »Victoria, bitte.«
    Jetzt öffneten sich die verklebten Augen des Mädchens ein wenig. Grace bezweifelte, dass Victoria mitbekam, was um sie herum vorging, doch von dieser kleinen Geste ermutigt hielt sie ihr den Rand des Glases an die Lippen.
    Nachdem sie schon fürchtete, Victoria könnte sich verschlucken, gelang es Grace, ihrer Schwester das bräunliche Wasser einzuflößen. Der herbe Geschmack brachte sie dazu, ein wenig wacher zu werden, und während Grace beruhigend auf sie einredete, trank Victoria schließlich ein halbes Glas, bevor sie wieder in tiefen Schlaf fiel.
    Nachdem sie sie wieder auf ihr Lager gebettet hatte, ging Grace zum Fenster und goss den Rest hinaus. Das Beutelchen verstaute sie unter ihrem Kleid. Dabei betete sie leise, dass es helfen und ihre Schwester retten möge.
    Die Warnung der Heilerin bewahrheitete sich: Nach dem Genuss des Wassers wurde Victorias Zustand noch schlechter. Der Schüttelfrost wich einem Delirium, in dem das Mädchen dalag wie tot. Grace krampfte sich der Magen zusammen. Nicht, weil das Wasser ihr ebenfalls Unbehagen verursachte, sondern weil sie fürchtete, einen schlimmen Fehler gemacht zu haben. Was, wenn das Mittel Victoria umbrachte?
    Sie blickte zu ihrer Mutter, die im Zimmer auf und ab ging und nervös ihre Hände knetete. Dabei hoffte Grace inständig, dass die Kräuter ihre Wirkung entfalten mochten. Zwischendurch ließ sich ihr Vater blicken und fragte nach Victorias Zustand, wagte sich aber nicht näher an das Krankenbett heran.
    Am späten Nachmittag, ohne dass ihm jemand nachreiten musste, erschien der Bote. Grace, die gerade ins Esszimmer gegangen war, um von dort etwas Obst zu holen, sah ihn als Erstes und bemerkte auch, dass das Pferd am Ende seiner Kräfte war, als er es anhielt. Ohne Umschweife stellte sie die Schüssel ab und bemerkte dabei nicht, dass sich das heilige Bild genau neben der Stelle befand, denn die Blumen waren seit einiger Zeit weniger geworden.
    Der Bote, ein junger Teearbeiter, schleppte sich erschöpft die Treppe hinauf. Genauso wie er taumelte das Pferd hinter ihm und setzte sich schließlich nieder.
    Grace öffnete die Tür und ging ihm ein Stück entgegen.
    Der vollkommen durchgeschwitzte Bote meldete, dass er von der Apotheke zurück sei, und reichte ihr eine in braunes Packpapier eingewickelte Schachtel.
    »Nanri«, bedankte sich Grace auf Tamilisch, dann schickte sie den Mann in die Küche. Sie selbst rannte mit dem Päckchen in ihr Zimmer zurück.
    Als sie durch die Tür stürmte, sprang Claudia auf.
    »Er hat es gebracht!«, rief Grace aufgeregt, bevor sie nachfragen konnte. »Er ist eben angekommen und hat beinahe das Pferd zuschanden geritten. Aber wir haben es!«
    Claudia stieß einen erleichterten Seufzer aus, und weil ihre Hände so sehr zitterten, überließ sie Grace die Zubereitung des Medikamentes. Als diese sich schließlich neben Victoria hockte, um ihr das Chininwasser einzuflößen, bemerkte sie, dass der Schweiß auf ihrer Stirn ein wenig getrocknet war.
    Vorsichtig hob sie sie an und redete dann wieder sanft auf sie ein. Wieder öffnete Victoria die Augen, doch diesmal sah sie sie wirklich an, glasig zwar noch, und es dauerte eine Weile, bis sie den Mund öffnete, doch diesmal klappte das Schlucken besser.
    Vielleicht täuschte sie sich, vielleicht gaukelte ihr Verstand ihr auch etwas vor, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Victorias Zustand ein wenig stabiler geworden war.
    Nachdem sie ihr das Chininwasser eingeflößt hatte, bettete sie sie wieder zurück auf das durchgeschwitzte Kissen und ordnete ihre Locken.
    Während der folgenden Stunden ließ Grace sie nicht aus den Augen. Ihr Magen revoltierte, und obwohl sie hungrig war, brachte sie es nicht über sich, etwas zu essen. Zusammen mit ihrer Mutter erneuerte sie die Umschläge immer wieder, doch obwohl sich die Lappen noch immer sehr schnell erwärmten, blieb Victoria etwas ruhiger und das Delirium ging in Schlaf über.
    »Immerhin scheint das Chinin sehr gut zu sein«, bemerkte Claudia am Ende des Tages. Die Erschöpfung hatte dunkle Schatten unter ihre Augen eingegraben und zeigte ihre achtunddreißig Lebensjahre, die

Weitere Kostenlose Bücher