Die Schmetterlingsinsel
Ihre Mutter schien das seltsame Fieber, das Victoria befallen hatte, so sehr zu fürchten, dass sie nicht einmal den Raum betrat. Das machte Grace ein wenig wütend. Wenn sie es nicht tun sollte, dann war es an ihrer Mutter, zu versuchen, Victoria wieder zu wecken. Oder sie zumindest zu beruhigen. Doch nichts dergleichen geschah. Wie ein zögernder Todesengel blieb sie vor der Schwelle stehen und starrte auf das Bett.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Arzt kam. Wie sich herausstellte, war Henry Tremayne persönlich zu ihm geritten.
Dr. Desmond, ein gutmütig aussehender, rotbärtiger Mann, dessen nachlässig übergeworfene Kleider von dem nächtlichen Überfall zeugten, grüßte Claudia und Grace knapp und wandte sich dann Victoria zu.
Als würde die Anwesenheit des Arztes eine schützende Aura über sie ausbreiten, fand Claudia ebenfalls den Mut, den Raum zu betreten. Hinter ihr, in der Halle, rief Henry irgendwelche Befehle.
Wenig später erschienen zwei Dienstmädchen mit Schüsseln voller warmem und kaltem Wasser. Claudia bedeutete ihnen, sie auf die beiden Stühle zu stellen, dann huschten die Mädchen wieder davon.
Dr. Desmonds Untersuchung war recht kurz. Nachdem er Victorias Lunge mit seinem Stethoskop abgehört, ihren Puls gemessen und ihre Stirn befühlt hatte, schob er ihr ein Thermometer unter die Zunge und blickte auf seine Uhr.
»Wie ich es mir gedacht habe«, sagte er dann, verstaute das Stethoskop wieder in seiner Tasche und ging zu den Schüsseln, um sich die Hände zu waschen. »Ich fürchte, die Kleine hat sich die Malaria zugezogen. Ist sie von Moskitos gebissen worden?«
Claudia blickte zu Grace, die mehr Zeit mit Victoria verbrachte.
»Nein, nicht, dass ich wüsste«, entgegnete sie besorgt. »Aber wir waren viel draußen, und Victoria jammert nicht über einen Mückenstich.«
»Moskitos, junge Dame, sind nicht einfach nur Mücken, sondern ernstzunehmende Überträger von Krankheiten. Sollten Sie ebenfalls gebissen worden sein, sagen Sie es mir lieber gleich.«
Hilfesuchend blickte Grace nun zu ihrer Mutter. Diese war auf einmal ganz grau im Gesicht und wirkte mindestens zehn Jahre älter.
»Nein, nicht, dass ich wüsste«, antwortete sie dann.
»Nun, manchmal heilen diese Stiche sehr schnell weg, aber die Folgen sind verheerend.«
»Was wollen Sie tun, Doktor?«, fragte Claudia rau, während sie ihre Schultern umklammerte.
»Ich werde Ihnen ein Rezept für Chinin ausstellen, das sollten Sie in Colombo bekommen können. Mischen Sie es in der angegebenen Dosis. Außerdem müssen Sie dafür sorgen, dass die Temperatur nicht auf tödliche Werte ansteigt. Ihre Tochter erscheint mir kräftig, allerdings ist sie noch ein Kind, und es kann leicht passieren …«
Als sich Grace schluchzend die Hand vor den Mund presste, hielt der Arzt inne.
»Natürlich wollen wir nicht vom Schlimmsten ausgehen. Sorgen Sie dafür, dass das Mädchen ausreichend abgekühlt wird, wenn es sein muss, am ganzen Körper. Und Sie selbst sollten Chinin auch in Ihr Trinkwasser mischen, zur Vorbeugung.«
Damit begab er sich an Graces Schreibtisch und verfasste eine kurze Notiz. »Hier, geben Sie das einem Ihrer Diener und lassen Sie ihn sofort losreiten. Bis dahin ist es an Ihnen, das Fieber in Schach zu halten.«
Grace nahm das Rezept und lief aus dem Zimmer. Noch im Gang begegnete sie ihrem Vater. »Dr. Desmond sagt, dass das sofort aus der Stadt geholt werden soll.«
»Was ist mit ihr?« Der Blick auf den Zettel sagte es ihm schneller, als Grace dazu in der Lage gewesen wäre. »Malaria. In unserem Haus!«
»Wir sollen das Mittel auch nehmen«, setzte Grace hinzu.
Henry nickte, dann wirbelte er herum und eilte im Laufschritt in die Halle zurück. Nur wenige Augenblicke später preschte ein Reiter vom Hof.
Nachdem sich der Arzt verabschiedet und ihnen versichert hatte, dass Malaria nur durch Moskitos, aber nicht durch Körperkontakt übertragen werden konnte, läutete Claudia erneut nach den Dienstmädchen. »Ich halte es für besser, wenn wir ihnen nicht sagen, worum es geht«, raunte sie ihrer Ältesten zu. »Wir wollen doch nicht, dass die Angestellten panisch von der Plantage flüchten.«
Grace nickte. Malaria war bisher nur ein Wort gewesen, das in Reiseberichten aus Afrika und Asien hin und wieder erwähnt wurde. Sie hatte keinerlei Ahnung, wie ansteckend die Krankheit war, wie sie verlief und wie die Chancen waren, sie zu überleben. Es war nur vernünftig, keine Panik hervorrufen zu wollen. Doch
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