Die Schmetterlingsinsel
sind, sollten wir in drei Stunden dort sein«, schlussfolgerte er nach dem Studium der Straßen, die weiter nach Norden führten.
»In diesem Fall bin ich zu allem bereit. Ich muss die Stockton-Plantage sehen – und die Dokumente, die dort gelagert werden.«
Jonathan nickte lächelnd, dann holte er seine Tasche.
Obwohl man der Plantage deutlich ansehen konnte, dass sie heruntergewirtschaftet war, wirkte das Herrenhaus erhaben über den Verfall ringsherum. Zwar blätterte von dem Gebäude ebenfalls die Farbe, und einige Fenster waren kurzerhand mit Holzbrettern vernagelt worden, aber Diana, die mit Jonathan vor dem ausladenden Tor stand, konnte sich gut vorstellen, wie das Leben hier vor hundertzwanzig Jahren ausgesehen hatte.
»Entschuldigen Sie!«, rief Jonathan unvermittelt.
Diana, deren Blick von dem Herrenhaus gefesselt war, bemerkte erst jetzt den Mann in Arbeitskleidung, der dabei war, über den Hof zu eilen.
»Was Sie wollen?«, fragte der Mann in ziemlich schlechtem Englisch, worauf Jonathan ins Tamilische wechselte. Was er sagte, verstand Diana nicht, doch sie war sicher, dass er ihm ihre Anwesenheit erklärte und ihn bat, sich hier umsehen zu dürfen.
Der Mann entgegnete etwas, dann verschwand er wieder.
»Und nun?«, fragte Diana verwundert.
»Er holt nur den Schlüssel. Er sagt, dass der Verwalter gerade nicht da sei, aber wenn wir ihm versprechen, alles an seinem Platz zu lassen, dürfen wir uns das Haus ansehen.«
Jonathan betrachtete sie einen Moment lächelnd, dann sagte er: »Dieses Haus ist wirklich beeindruckend. Es wundert mich, dass sich diese Plantage nicht halten konnte, denn die Bedingungen sind dieselben wie für Vannattupp u cci .«
»Es hat wahrscheinlich am Besitzer gelegen«, gab Diana zurück, während sie an einem zarten Efeutrieb zupfte, ein Gewächs, das hier vollkommen fehl am Platz wirkte. Fast so, als hätten die Stocktons nie vorgehabt, sich in das Land einzufügen. »Was Grace Tremayne über ihn schreibt, ist alles andere als schmeichelhaft.«
»War er denn so ein Mistkerl?«
»Ein Schürzenjäger wohl eher. Mich interessiert, was aus ihm geworden ist. Vielleicht kommen wir Grace dadurch ein wenig näher.«
Bevor Jonathan sie noch weiter ausfragen konnte, erschien der Arbeiter mit klirrenden Schlüsseln. Der klagende Laut, den die Torangeln beim Öffnen von sich gaben, verursachten Diana eine Gänsehaut.
»Dann wollen wir mal«, sagte Jonathan unternehmungslustig, dann schlossen sie sich dem ein wenig gleichgültig wirkenden Mann an.
Mitten auf dem Rasen entdeckte sie ein in drei Sprachen gehaltenes Schild mit der Aufschrift »For sale«.
»Was könnte man wohl aus solch einem Gebäude machen?«, flüsterte sie Jonathan zu.
»Ein Kurhotel vielleicht. Oder ein Museum. Die Zeiten, in denen sich der englische Adel hier ein Wochenenddomizil einrichten würde, sind wohl vorbei.«
»Die Teebüsche sind aber immer noch da«, wandte Diana ein. »Es wäre doch möglich, dass hier eines Tages wieder Tee produziert wird.«
»Ja, das wäre möglich. Ich halte Mr Manderley für einen guten Kandidaten, die Felder liegen ja direkt in der Nachbarschaft. Doch auch er mag sicher keine zwei Herrenhäuser unterhalten. Stockton Manor wird wahrscheinlich eines Tages nur noch Spaziergänge durch die Teeplantage anbieten können.«
Ein Jammer, dachte Diana, trotz der Dinge, die sie in dem Tagebuch gelesen hatte.
Als sie direkt vor dem Haus standen, entdeckte Diana einen Riss im Gemäuer, als hätte es hier ein Erdbeben gegeben. Unterhalb von zwei Fenstern im Obergeschoss blätterten große Fetzen Farbe ab. Die alte Haustür war durch eine moderne ersetzt worden, die wie ein schriller Misston in der Harmonie eines Orchesters wirkte. In Deutschland hätte wohl schon längst der Denkmalschutz Alarm geschlagen, dachte Diana mit blutendem Herzen.
Als sie die hässliche Tür hinter sich gelassen hatten, wurden sie allerdings sogleich von den Schatten einer vergangenen Zeit umfangen. Trotz der fehlenden Möbel und der Schatten, die sie an den Wänden hinterlassen hatten, konnte sich Diana gut vorstellen, wie prachtvoll das Haus einst gewesen sein musste. Beinahe ehrfürchtig betrachtete sie die Marmortreppe, die ins erste Stockwerk führte. Aus einem schweren, goldfarbenen Rahmen blickte ein stattlicher, dunkelhaariger Mann in elegantem Gehrock auf sie herab. Beinahe schon magisch von dem Bildnis angezogen, erklomm Diana die Treppe.
Eine Bildunterschrift besaß das Gemälde nicht,
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