Die Schmetterlingsinsel
ist nichts.«
»Das wissen Sie aber erst, wenn Sie es gelesen haben, nicht wahr?«
Diana nickte und strich gedankenverloren über die Seiten, die sich wie feinkörniges Sandpapier anfühlten.
»Wissen Sie was, ich werde die Damen der Verwaltung um eine Lupe bitten. Die mit dem rotgemusterten Sari hat mir auch die CD gegeben, wenn ich ihr ein wenig schöne Augen mache, bekomme ich auch die Lupe.«
Warum durchfuhr sie bei dieser Bemerkung ein eifersüchtiger Stich?
Diana kannte die Antwort, drängte sie allerdings beiseite, denn in diesem Augenblick wollte sie sich nur um dieses Heft kümmern.
»Bin gleich wieder bei Ihnen!«
Jonathan erhob sich und verließ das Archiv. Diana sah ihm nachdenklich nach, dann hob sie das Heft wieder dicht vor ihr Gesicht. Dabei nahm sie den leichten Zimtduft wahr, der auch schon den Gegenständen in der Truhe angehaftet hatte. Ihre Augen begannen bei dem Versuch, die winzige Schrift zu entziffern, zu tränen, doch dann war es, als hätte die Flüssigkeit ihre Pupillen in Lupen verwandelt, und sie las die ersten Sätze.
Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Meine Gedanken sind so durcheinander, und ich weiß nicht, wem ich mich sonst anvertrauen soll. Da ich hier keine Freundin habe, werde ich meine Gedanken diesem Heft anvertrauen und es verbrennen, sobald es voll ist. Vielleicht gelingt es mir, alles in die richtige Reihenfolge zu bringen …
Bevor sie fortfahren konnte, kehrte Jonathan mit einer Lupe und einem kleinen Obstkorb zurück.
»Die Damen aus der Verwaltung haben ihn mir auf dem Weg in die Hand gedrückt, als ich ihre Einladung zum Lunch ausgeschlagen habe.«
Diana zog die Augenbrauen hoch. »Die Mittagszeit ist vorbei?« Ein Blick auf ihre Armbanduhr bestätigte ihr das.
»Mr Manderley fürchtet wohl, dass wir vom Fleisch fallen werden. Aber als Forscher weiß ich, wie fesselnd die Vergangenheit sein kann. Also lesen Sie ruhig weiter und lassen Sie es mich wissen, wenn Sie etwas Bahnbrechendes herausfinden. Ich werde mich derweil weiter auf die Suche nach solchen Perlen machen.«
Diana lächelte ihm dankbar zu, dann griff sie nach der Lupe. Bevor sie sich allerdings dem Heftchen zuwandte, nahm sie eine Banane. Während sie sie schälte und dann langsam verzehrte, fragte sie sich, wer hier beinahe verzweifelt jemandem etwas mitteilen wollte.
Als sie mit dem Essen fertig war, holte sie den Umschlag, den sie unter Deidres Sarg gefunden hatte, wieder hervor. Die Tinte hatte dieselbe Farbe wie die der Schrift in dem Heftchen. Nicht verwunderlich, beide Schriftstücke waren hier ausgefertigt worden. Doch gehörte das Heft nun Victoria oder Grace?
Bei direktem Vergleich bemerkte sie, dass die Schriften sich zwar ähnelten, als seien sie von ein und demselben Lehrer gelehrt worden. Und doch hatte jede von ihnen ihre Eigenheiten. Die Handschrift auf dem Brief von Victoria wirkte kindlicher, verspielter, während die andere Schrif t flacher und kantiger wirkte – in ihrer Eile hatte der Schreiber oder die Schreiberin keinen Wert auf Schönschrift gelegt.
Ist es wirklich von Grace? Hat sie sich hier ihre Gedanken von der Seele geschrieben?
Mit pochendem Herzen griff Diana zur Lupe und begann zu lesen.
Schon nach knapp einer Seite wurde ihr klar, dass es sich um die Niederschrift von Grace handelte. Der Wortlaut wirkte viktorianisch züchtig, und dennoch konnte man deutlich die innere Aufgewühltheit erkennen, die sie zu diesem Schritt bewogen hatte.
An einer bestimmten Stelle angekommen, schnappte Diana nach Luft und blickte auf. »Wissen Sie was?«, fragte sie, während sie das Heft zuklappte.
»Was denn?« Jonathan blickt erstaunt von seinem Zettelstapel auf.
»Wir fahren zur Stockton-Plantage!«
»Jetzt?«
»Warum nicht?«
»Ich frage mich, was Sie dazu bewegt. Steht etwas davon in dem kleinen Heftchen?«
»Und ob es das tut!«, entgegnete Diana. »Meine Vorfahrin berichtet darin, dass das ganze Unheil, wie sie es nennt, mit einem Besuch bei den Stocktons begann. Wenn ich schon einen konkreten Hinweis habe, möchte ich ihm auch so schnell wie möglich nachgehen.«
Jonathan reckte ergeben die Hände in die Höhe. »Okay, Sie sind der Boss! Wollen wir doch mal sehen, wie weit es von hier bis dort ist!«
Damit erhob er sich und ging zur Umgebungskarte, die an der Wand neben der Tür hing. Sie war schon ein bisschen älter, wie der Gilb des Papiers bewies, doch die Wege waren gewiss noch dieselben.
»Wenn Sie bereit für einen strammen Fußmarsch
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