Die Schmetterlingsinsel
sie geworfen zu haben.«
»Aber für sie seine Frau umbringen …«
»So was soll schon vorgekommen sein«, beharrte Diana. »Grace hatte eine offensichtliche Abneigung gegen seinen Sohn, die er wohl auch teilte, wenn Graces Eindruck richtig war. Warum sollte er sich nicht nach einer jungen schönen Frau sehnen.«
»Er hätte sich scheiden lassen können.«
»Was einen Skandal bedeutet hätte.«
Die Bemerkung zum Skandal aus Victorias Brief kam ihr wieder in den Sinn. Hatte Stockton etwas damit zu tun? Hatte er Grace die Ehe versprochen? Hatte er irgendwas getan, das es rechtfertigte, Grace nach England zurückzuschicken?
Kälte strich über ihre Haut, als sie sich vorstellte, dass Stockton nicht davor zurückgeschreckt war, Grace mit Gewalt zu nehmen …
Auf einmal überkam sie der unbändige Drang, die Aufzeichnungen weiterzulesen, um Klarheit zu bekommen. Doch das Heft lag im Archiv von Vannattupp u cci .
»Vielleicht hat Henry Grace auch nicht weggeschickt, weil sie sich mit ihm überworfen hatte, sondern weil er sie vor Stockton schützen wollte«, sprach Jonathan ihren Gedankengang aus.
»Aber warum hätte er sie dann enterben sollen?«
Diana verstummte und blickte zum Fenster hinaus. Befand sich dort irgendwo die Plattform, wo Stockton Grace bedrängt hatte?
Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie noch eine Viertelstunde Zeit hatten, bis der Arbeiter sie bitten würde, zu gehen.
»Lassen Sie uns nach der Aussichtsplattform suchen«, sagte sie, einer plötzlichen Eingebung folgend.
»Sie wollen sich also nicht den Rest des Hauses ansehen?«
»Ich glaube kaum, dass wir dort mehr finden werden als hier.« Sie schob die kleine Broschüre in die Hosentasche. Das Familienbild würde reichen, um ihr beim Überlegen zu helfen. »Ich will den Ort sehen, an dem er mit Grace allein war.«
Leider sah man dem Garten des Anwesens die nachlässige Pflege an. Einzig der kunstvoll verschlungene Frangipani-Baum war noch so erhalten, wie Grace ihn gesehen haben musste.
Da ihre Wegbeschreibung in der Notiz nur recht vage gehalten war und Grace sich eher darauf konzentriert hatte, ihre Gefühle angesichts von Stockton zu beschreiben, fragte Jonathan kurzerhand den Arbeiter, der hinter einer Hecke stand und ertappt die Zigarette wegwarf, die er gerade rauchte.
Die wilden Gesten des Mannes waren für jemanden, der die Sprache nicht verstand, ein wenig wirr, doch Jonathan hatte verstanden.
»Kommen Sie, hier entlang.«
Der Teil des Gartens, den sie nun betraten, war beinahe noch verwilderter als das Gestrüpp rings um die Kampfschule nahe Vannattupp u cci . Schon lange hatte man hier der Natur freien Lauf gelassen. Die Stufen, die Grace mit Stockton erklommen hatte, waren fast vollständig überwachsen. Nur ein schmaler Trampelpfad war übriggeblieben.
Doch noch immer konnte man die Teefelder erahnen, wenn man es schaffte, das dichte Gestrüpp mit Blicken zu durchdringen.
Auf halbem Weg trafen sie auf eine Absperrung. Das Schild, das an der verrosteten Kette baumelte, wies tamilische und singhalesische Schriftzüge auf.
»Kein Durchgang«, übersetzte Jonathan. »Angeblich besteht Absturzgefahr.«
Diese war Diana bereit, zu ignorieren, doch Jonathan griff nach ihrem Arm, als sie dennoch vorangehen wollte.
»Bleiben Sie lieber hier. Ihr Familiengeheimnis wird auf ewig ungelöst bleiben, wenn Sie abstürzen. Wahrscheinlich ist dort oben nichts mehr.«
Widerstand regte sich kurz in Diana, doch dann entsann sie sich wieder, dass Grace von einem künstlich angelegten Vorsprung geschrieben hatte.
Sie gab also nach und blieb stehen.
»Ich hätte es so gern gesehen«, murmelte sie wie ein enttäuschtes Kind.
»Wer weiß, vielleicht haust dort oben immer noch Stocktons Geist«, gab Jonathan mit einem tröstenden Lächeln zurück. »Wenn er Sie sieht, könnte er auf dumme Gedanken kommen, und ich habe gerade meine Ghostbuster-Ausrüstung nicht dabei.«
Jetzt lächelte Diana wieder, und auf einmal wurde die Zeit, die sie mit dem Gang hierher vergeudet hatte, Nebensache.
Als sie zum Haus zurückkehrten, steckte Jonathan dem bereits ungeduldig wartenden Arbeiter ein paar Geldscheine zu und bat um Verzeihung dafür, dass sie die erlaubte Stunde doch ziemlich überschritten hatten. Dann verabschiedete er sich und kehrte zu Diana zurück.
»Er meint, wir können jederzeit wiederkommen, wenn wir wollen«, erklärte er, als sie den efeuberankten Zaun des Herrenhauses hinter sich gelassen hatten.
»Kein Wunder, wenn
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