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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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wenn es zum Äußersten kommt.
    In Bluse und Pullunder gegen die Kühle stapfte sie wenig später zum Dorffriedhof, der nur etwa zehn Minuten entfernt war. Das Knirschen der Steine unter ihren Schuhen hatte etwas Hypnotisches an sich, das ihren Verstand klärte und es ihr erlaubte, das Gehörte in ihre Erinnerung einzuordnen und abzulegen.
    Als sie die Hälfte des Weges hinter sich gebracht hatte, gelang es der Sonne endlich, sich durch die Wolkendecke zu schieben. Auf einmal wirkte dieser Ort ganz anders, die wilden Brombeerhecken glitzerten vom Regenwasser mit dem Gras um die Wette, die Vögel sangen lauter, und irgendwo kündigte ein Kuckucksruf den nahenden Sommer an.
    Dass gerade jetzt die Sonne durchkommt, dachte Diana. Ist das vielleicht ein Zeichen? Obwohl sie nicht an so etwas glaubte, erfüllte das unvermutete Licht ihr Herz plötzlich mit Leichtigkeit, als sie den von einer Steinmauer umsäumten Friedhof erblickte. Linden und Kastanien flankierten den Ort, an dem es immer ein wenig windiger zu sein schien als anderswo. Zwischen eisernen Grabkreuzen erhob sich eine kleine Kapelle, die Begräbnisstätte der Tremayne-Familie. Über den Grund, weshalb ihre Großmutter dort nicht begraben worden war, hatte sich Diana nie Gedanken gemacht. Doch jetzt drängte sich diese Frage beinahe schon penetrant in ihren Verstand. War in der Kapelle kein Platz mehr gewesen? Hatte Deidre verhindert, dass sie dort hinkam? Oder war es ihr eigener Wunsch gewesen?
    Lange brauchte sie nach dem Grab von Beatrice Jungblut nicht zu suchen. Schon von weitem grüßte der Engel, der schützend einen Kranz über die efeugeschmückte Grabplatte hielt.
    Früher war wahrscheinlich die Kapelle das Zentrum des Gottesackers gewesen, doch die Zeit und die wachsende Ausdehnung des Platzes hatten dafür gesorgt, dass sich der Mittelpunkt um gut fünfzig Meter verschoben hatte. Der Engel, der die Kapelle dank seiner Flügel knapp überragte, war nun das leuchtende Zentrum des Friedhofes.
    Ob es Absicht war, dass der Schatten des Kranzes bei Sonnenlicht das Geburts- und Todesdatum einrahmte, war nicht zu erkennen, aber es war ein hübscher Effekt, der Diana lächeln ließ.
    »Hallo Großmutter«, sagte sie leise, während sie sich hinhockte und mit dem Finger über die eingravierten Buchstaben und Zahlen fuhr.
    Beatrice Jungblut
    geb. Feldmann
    1918 – 1945
    Wer auch immer sich um das Grab kümmerte, versah seine Arbeit sehr gut.
    Eigentlich hatte sie es immer für unsinnig gehalten, zu den Toten zu sprechen, denn schon als Kind war sie davon überzeugt, dass es keine Wiederkehr gab. Doch jetzt hatte sie das dringende Bedürfnis, der Frau, deren Vermächtnis für Diana nur in einem Bild und in den eigenen Genen gespeichert war, zu erzählen, was in den vergangenen Jahren passiert war, seit sie das letzte Mal an ihrem Grab gestanden hatte. Sie begann bei ihrem Studium, wie sie Philipp kennengelernt und ihr Büro aufgebaut hatte. Sie endete damit, dass Philipp sie betrogen hatte, Emmely im Sterben lag und sie das Gefühl hatte, ihre Welt würde auseinanderbrechen.
    Als sie zu dem Kranz aufsah, den der Engel nun auch über sie hielt, bemerkte sie, dass an den Blättern etwas seltsam war. Auf ihren Reisen und in Geschäften hatte sie schon viele Lorbeerkränze gesehen, manche realistisch, manche stilisiert, doch nie einen mit solchen Blättern! Das war kein Lorbeer. Mit einem seltsamen Kribbeln in der Magengrube erhob sich Diana und nahm den Kranz näher in Augenschein. Es war die merkwürdigste Bildhauerarbeit, die sie je gesehen hatte. Die Blätter waren sehr detailliert, so als habe es genaue Anweisungen für ihre Anfertigung gegeben. Seufzend strich Diana über den Marmor, der so glatt war, dass nicht einmal Algen sich darauf festsetzten. Ach, Emmely, wenn ich dich fragen könnte.
    Da fiel ihr plötzlich ein, dass sie Blätter wie diese schon einmal gesehen hatte. Sie konnte sich nicht genau erinnern wo, aber sie kamen ihr ungeheuer bekannt vor. Das Kribbeln in ihrer Magengrube wurde stärker, und der Drang, ihre Erinnerung aufzufrischen, überkam sie so heftig, dass sie auf der Stelle kehrtmachte und zum Tor rannte, wobei sie beinahe zwei alte Damen rammte, die gerade mit Gießkannen und Harken bewaffnet auf dem Weg zu den Gräbern ihrer Angehörigen waren. Das missbilligende Kopfschütteln bekam sie schon nicht mehr mit, denn sie stürmte bereits den sandigen Landweg hinauf.
    Sport war nie ihre Stärke gewesen, das wurde ihr wieder bewusst, als

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