Die Schmetterlingsinsel
sie sich keuchend die Freitreppe von Tremayne House hinaufschleppte. Mr Green war mittlerweile zurückgekehrt und hatte den Bentley in die Garage gefahren – deren Türen aber offen gelassen für den Fall der Fälle.
Nach einer kurzen Verschnaufpause, den Krampf ihrer Bauchmuskeln ignorierend, stürmte sie wie ein geölter Blitz in die Küche und erschreckte Mr Green dermaßen, dass er fast die Teekanne fallen ließ. »Miss Diana, ist etwas passiert?«
Diana hörte nicht auf ihn. Am Küchenschrank angekommen, riss sie die beiden kleinen Schubladen auf, dann öffnete sie eine der kleinen Türen.
Treffer! Mit einem triumphalen »Ha!« zog sie ein kleines Päckchen hervor. Erst dann bemerkte sie, dass Mr Green sie ansah, als hätte sie den Verstand verloren.
»Entschuldigen Sie bitte, Mr Green«, sagte Diana verlegen, während sie die Verpackung an ihre Brust drückte wie etwas unsagbar Kostbares. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich wollte nur Gewissheit haben.«
Der Butler hob die Augenbrauen. »Gewissheit? Darüber, dass wir noch genügend Tee haben?«
Diana lachte auf. »Nein, Mr Green. Doch wie es aussieht, hat sich Tante Emmely eine kleine Extravaganz am Grab meiner Großmutter erlaubt.«
»Was meinen Sie?«, fragte der Butler stirnrunzelnd.
Diana berichtete von dem Gespräch mit Dr. Sayers, der sie darauf gebracht hatte, das Grab ihrer Großmutter zu besuchen.
»Wahrscheinlich lag es daran, dass ich schon lange nicht mehr da war und nun einen unbefangenen Blick auf die Details hatte«, setzte sie hinzu, dann drehte sie die Packung, die sie aus dem Schrank gerissen hatte, herum und hielt sie hoch, als sei sie der Sensationsfund des Jahres. »Der Kranz, den der Engel über das Grab hält und dessen Schatten die Lebensdaten meiner Großmutter einrahmt, besteht aus Teeblättern.«
»Ein Kranz aus Teeblättern«, murmelte Mr Green nachdenklich, als sie wenig später bei Tee und Kuchen am Küchentisch saßen. »Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher«, beharrte Diana, nachdem sie ihren Bissen mit einem Schluck Tee heruntergespült hatte. »Die Blätter sind haargenau die auf dieser Packung. Natürlich noch etwas kunstvoller, aber ich bin mir sicher, dass der Kranz des Grabengels nicht aus Lorbeer besteht.«
Mr Green musterte nachdenklich die Tischplatte, die zahlreiche Kerben von abgerutschten Messern aufwies. »Warum sollte Madam so etwas tun?«
»Fragen Sie mich nicht«, entgegnete Diana. »Auf jeden Fall ist es sehr seltsam.«
»Vielleicht hatte Ihre Großmutter eine Vorliebe für Tee? Oder es war irgendwas Mysteriöses? Nicht umsonst lesen Wahrsager aus dem Teesatz.«
Diana schüttelte den Kopf. Diese Erklärungen befriedigten sie nicht. Emmely war nicht abergläubisch. Darüber, jemanden aus ihrem Teesatz lesen zu lassen, hätte sie nur gelacht. Dass Dianas Großmutter Tee mochte, war da schon glaubhafter, immerhin entstammte sie einer Seemannsfamilie und war an der Küste aufgewachsen. Doch reichte diese Vorliebe aus, um ihr Grab mit Teeblättern zu schmücken?
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich das Päckchen mitnehme und zu meinen anderen Fundstücken lege?«, fragte sie, worauf Mr Green überrascht von seiner Teetasse aufsah.
»Natürlich nicht, wir haben noch genug davon im Haus. Außerdem sind Sie jetzt die Hausherrin, zumindest so lange, bis Madam zurückkehrt.«
Dass der Butler seine Herrin noch nicht aufgegeben hatte, rührte Diana, und sie schämte sich beinahe dafür, dass ihr Herz ihr sagte, dass Emmelys letzte Tage angebrochen waren.
Nach der Teestunde kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, wo sie die Teepackung, der ein würziger Geruch entströmte, zu dem Schal und dem Telegramm legte.
Ich werde mir eine Kiste suchen müssen, wenn das so weitergeht.
Bis zum Abend setzte sie sich an ihre Arbeit, beantwortete E-Mails aus der Kanzlei und ignorierte eine weitere – diesmal per Mail gesendete – Nachricht von Philipp. Was außer einem Rechtfertigungsgespräch konnte er wollen? Und worüber wollte er sprechen? Ihr zorniges Herz wollte das gar nicht wissen.
Als sie sich müde gegen die Sofalehne kuschelte, kam ihr in den Sinn, dass die Suche nach der Familiengeschichte einem Spiel glich, das sie mit Emmely als Kind gespielt hatte. Schnitzeljagd nannte man es in Deutschland, und ihre Tante war eine Meisterin darin gewesen, Bruchstücke einer Nachricht zu verstecken. Schade nur, dass sie im Krankenhaus war und ihr keine Hinweise geben konnte.
In der Nacht, unter den schweren, ein
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