Die Schmetterlingsinsel
verfinsterte sich.
»Alles in Ordnung, Miss Diana?«
Diana schüttelte den Kopf, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Sie ist vor einer Stunde gestorben.«
Von den darauffolgenden Momenten bekam Diana nur mit, dass Mr Green sie auf das Sofa im Wohnzimmer bugsierte. Seine Frage, ob er etwas für sie tun könnte, beantwortete sie mit einem Kopfschütteln. Dennoch tauchte er wenig später mit einem frisch geöffneten Päckchen Taschentücher auf und brachte ihr eine Tasse Tee, bevor er sich diskret in die Küche zurückzog.
Nachdem sie eine Weile auf den Kamin gestarrt hatte, der von Bildnissen längst verstorbener Personen gesäumt wurde, löste sich der Schock der Nachricht, und Diana gab sich nun ganz ihrer Trauer hin.
Wie betäubt stand Mr Green vor dem Küchenfenster, von wo aus er einen guten Blick auf den Küchengarten und einen Teil des Parks hatte, der nach dem Krieg nie mehr zu altem Glanz zurückgefunden hatte.
Obwohl er kein besonders sentimentaler Mann war, rannen Tränen über seine Wangen. Stumme Tränen, denn er hätte sich nie gestattet, laut zu weinen. Immerhin war er hier im Dienst.
Doch der Tod seiner Herrin bekümmerte ihn, nicht nur, weil sie eine gute Herrin gewesen war, sondern weil die Verantwortung, Miss Diana das Geheimnis lüften zu lassen, nun allein bei ihm lag. Er würde nicht mehr nachfragen können und musste sich auf die bereits ausgesprochenen Befehle von Mrs Woodhouse verlassen.
Gezielt eilte er zu der Kommode neben der Tür und holte das dicke Buch hervor, das schon lange nicht mehr benutzt worden war. Der darin enthaltene Umschlag wanderte in seine Jackentasche. Die Madam hatte ihm nie gesagt, was der Brief enthielt, doch offenbar war er sehr wertvoll. Ihre Anweisung lautete, ihn ihrer Großnichte auf diskrete Weise zuzuspielen. So, als würde sie ihn zufällig finden. Die Annahme, dass sich Madam noch eine Weile unter ihnen befinden würde, hatte ihn bisher davon abgehalten, sich darüber Gedanken zu machen. Doch vielleicht würde ihm während der Fahrt eine Idee kommen. Sicher würde Miss Diana ins Krankenhaus fahren wollen, nachdem sie den Bestatter benachrichtigt hatte.
Mit dem Telefonbuch eilte er schließlich die Stufen zum Wohnbereich hinauf.
Diana war Mr Green sehr dankbar, als er mit dem Telefonbuch anrückte, das auf der Seite der Bestattungsunternehmen in der Gegend aufgeschlagen war.
Auf einmal war die Erinnerung an die Beerdigung ihrer Mutter wieder da, der Berg an Formalitäten, die zu erledigen gewesen waren. Glücklicherweise hatte sie hier Mr Green zur Seite, der das Gefühl der Überforderung ein wenig abmilderte.
»Norton & Fenwick haben einen sehr guten Ruf in der Gegend, die Mitarbeiter sind sauber und diskret, es werden keine Billigsärge aus Osteuropa eingekauft«, erklärte er, während er auf einen eher unscheinbaren Eintrag deutete. Der Name der Firma war recht klein und wurde von einfachen schwarzen Linien eingerahmt. Neben den Einträgen, die mit Palmwedeln, protzigen Rosen, Kreuzen und Kränzen verziert waren, ging er beinahe unter.
»Wäre das Tante Emmelys Wille gewesen?«
»Sie wäre auf jeden Fall für ein stilvolles Begräbnis gewesen, und ich bin sicher, dass Sie das von dieser Firma erwarten können. Möchten Sie, dass ich dort anrufe?«
»Nein, das mache ich von unterwegs. Wir sollten vielleicht so schnell wie möglich losfahren.«
»Aber sicher doch, Miss Diana.«
Während sich Mr Green nach draußen begab, lief Diana die Treppe hinauf. Nachdem der erste Schock verflogen war, überkam sie jetzt so etwas wie die absurde Hoffnung, dass sich der Arzt geirrt haben könnte. Dass vielleicht ein Wunder geschehen war und Emmely es sich überlegt hatte.
Doch in ihrem Zimmer holte sie die Realität wieder ein und drückte wie ein zu schwerer Rucksack auf ihre Schultern.
Da sie keine rein schwarze Kleidung dabeihatte, knöpfte sie ihre schwarze Jacke kurzerhand zu und schnappte ihre Handtasche. Auf dem Rückweg nach unten streifte ihr Blick wieder das Bild mit der Seeszene. Für einen Moment meinte sie in Victorias Kindergesicht das Gesicht ihrer Tante zu erblicken. Um Fassung bemüht stieg sie schließlich in den Bentley, der mit röhrendem Motor über den Schotter fegte.
Während das beruhigende Brummen des Motors sie wie eine schützende Decke einhüllte, verhandelte Diana mit einer etwas älteren Dame, die sie sehr zuvorkommend behandelte und versprach, den Leichenwagen so rasch wie möglich zum Hospital zu
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