Die Schmetterlingsinsel
beiseite und beobachtete, wie der Mann den Rand der kleinen Tür abtastete, als erwarte er, dass magische Zeichen auftauchten. Nachdem er das Fach und das kleine Schloss einer gründlichen Musterung unterzogen hatte, holte er eine Art Knetmasse aus seiner Tasche.
»Heutzutage schwören die Schlüsselmacher auf Silikonpistolen«, erklärte er dabei. »Aber ich halte nichts davon, weil sie manchmal die Schlösser verkleben. Da arbeite ich lieber mit der alten Methode.«
Diana konnte dazu nichts sagen, denn sie kannte sich überhaupt nicht in der Schlüsselmacherei aus.
Sie ließ Mr Talbott machen, was er für richtig hielt, und nickte beifällig, als er ihr den Abdruck des Schlosses zeigte.
»Sehen Sie sich das an! Ich glaube, das wird einer der schönsten Schlüssel, die ich je angefertigt habe! Geben Sie mir nur ein paar Tage Zeit, dann bringe ich ihn vorbei.«
Diana erklärte sich einverstanden und geleitete den Schlüsselmacher zur Haustür. Anstelle des Wohnzimmers kehrte sie noch einmal in Tremaynes Arbeitszimmer zurück. Ein seltsamer Friede hatte sie hier in Gegenwart des Schlüsselmachers überkommen. Andächtig strich sie mit den Fingerspitzen über die Tischplatte, dann nahm sie auf dem Stuhl Platz, der ein leises Knarren von sich gab. Nach kurzer Betrachtung des Geheimfachs und der Bücher, die es umgaben, wandte sie sich dem Fenster zu.
Wie prachtvoll musste der Garten früher gewesen sein! Mr Green tat alles, um ihn sauber und ordentlich zu halten, doch Bilder von üppigen englischen Gärten sahen anders aus. Und doch hatte der Anblick etwas Beruhigendes. Allmählich begriff Diana, warum ihre Vorfahren dieses Zimmer zum Arbeiten ausgesucht hatten. Dieses Zimmer, das ihr als Kind immer eine Gänsehaut eingejagt hatte. Das hatte sich jetzt, da Emmely tot war, geändert, wie sie erstaunt feststellen musste. Es war, als hätte das Haus jetzt sie vollständig als neue Herrin akzeptiert.
Da die Trauer um ihre Großtante sich ein wenig gelegt hatte, beschloss Diana kurzerhand, ihre »Zentrale« in diesen Raum zu verlegen. Nach und nach holte sie ihren Laptop, das schnurlose Telefon, den Schal, das Teepäckchen und das alte Telegramm aus dem Wohnzimmer und richtete sich in dem Arbeitszimmer ein.
Als sie fertig war, fiel ihr jedoch wieder ein, dass zunächst andere Dinge anstanden. Ein Pastor musste bestellt werden, die Grabstelle angesehen und die Formalitäten mit den Ämtern erledigt werden. Seufzend strich sie über die weiche Seide des Schals und setzte dann eine Checkliste auf.
In den nächsten beiden Tagen nahmen die Beerdigungsvorbereitungen so viel von Dianas Zeit ein, dass sie weder dazu kam, sich um ihr Büro zu kümmern, noch dem Geheimnis weiter nachzugehen.
Nachdem sie den Sarg ausgesucht, mit dem Pastor gesprochen und die Formalitäten erledigt hatte, erstand sie in einer kleinen Boutique in der Nähe des Krankenhauses ein klassisch geschnittenes schwarzes Kostüm und eine schwarze Seidenbluse, außerdem dezent glänzende Strümpfe und schwarze Pumps. Nun musste sie sich nur noch um die Grabstelle kümmern.
Mr Green war ihr stets einen Schritt voraus und hatte schon die Schlüssel für die Gruft parat, bevor sie überhaupt danach fragen konnte.
»Was würde ich bloß ohne Sie machen!«, sagte Diana, worauf der Butler eine leichte Verbeugung andeutete.
»Es ist meine Pflicht, Ihnen zur Hand zu gehen, Miss Diana, nichts weiter.«
»Sie sind einfach zu bescheiden, Mr Green«, gab Diana amüsiert über die altmodische Geste zurück. »Wenn ich das Vermögen meiner Tante gesichtet habe, werde ich Ihnen eine Lohnerhöhung geben. Und dann werden Sie mir hoffentlich auch Ihren Vornamen verraten.«
Darauf reagierte Mr Green ebenfalls nur mit einem diskreten Lächeln.
Zum Friedhof fuhren sie diesmal, was ihnen bewundernde Blicke seitens der an verschiedenen Grabstellen anwesenden Leute eintrug. Obwohl die Zeiten, in denen sich ein Dorf im Glanz seines Grundbesitzers sonnte, vorbei waren, versetzte es die Menschen immer noch in ehrfürchtige Starre, wenn ihnen ein Mitglied der Familie unter die Augen kam. Besonders an einem Ort wie dem Friedhof und nach einer Nachricht wie der von Emmelys Tod.
Während die Blicke regelrecht auf ihrer Haut prickelten, betrat Diana zum ersten Mal in ihrem Leben die Grabstelle der Tremaynes, ihrer entfernten Urahnen.
Auch hier hatte der Friedhofsgärtner gute Arbeit geleistet. Offenbar hatte er einen Zweitschlüssel, denn weder kam ihr beim Öffnen der
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