Die Schmetterlingsinsel
des Arztes zur Todesursache. Erst als er ihr mitfühlend eine Hand auf den Arm legte, kam sie wieder zu sich.
»Ich lasse Sie jetzt einen Moment allein. Verlassen Sie das Zimmer, wann immer Sie wollen. Wenn die Bestatter eintreffen, schicke ich sie rein.«
Diana bedankte sich mit einem Nicken und hörte dann, wie die Tür leise ins Schloss fiel.
Nachdem sie eine Weile vor dem Bett gestanden hatte, zog sie sich einen Stuhl heran und setzte sich.
»Ich habe die ersten Hinweise gefunden«, wisperte sie, als sie über Emmelys Haar strich und dabei die Kälte ihrer Haut spürte. »Nur, wie soll alles zusammenpassen? Ich wünschte so sehr, dass du noch da wärst, um mir zu helfen.«
Diana verstummte. Wartete auf eine Antwort, von der sie wusste, dass sie nicht kommen würde. Irgendwann klopfte es, und zwei Männer in schwarzen Anzügen traten ein. Diana begrüßte sie kurz, dann zog sie sich, nachdem sie noch einen Blick auf Emmely geworfen hatte, zurück. Ich werde mein Versprechen erfüllen, dachte sie, als sie sich gegen die Wand des Stationsganges lehnte und leise vor sich hin weinte.
Wie besprochen erschien am Nachmittag der Schlüsselmacher. Sein Klingeln riss Diana aus dem Schlaf.
Nachdem sie vollkommen erschöpft heimgekehrt war, hatte sie sich ein wenig auf dem Sofa ausgestreckt, doch noch immer fühlten sich ihre Knochen bleischwer an. Den Gedanken, einfach nicht zu öffnen, verwarf sie gleich wieder und eilte zur Tür. Ich habe es Tante Emmely versprochen.
Der Schlüsselmacher, ein weißhaariger Mann in blauem Overall, der die sechzig schon weit überschritten hatte, straffte sich, als sie öffnete, und sah sie verwundert an. »Alles in Ordnung, Miss? Soll ich vielleicht später wiederkommen?«
Natürlich hatte er gesehen, dass sie geweint hatte. »Es geht schon«, antwortete Diana, während sie eine Träne wegwischte, die sich aus ihrem linken Augenwinkel gestohlen hatte. »Ich habe heute die Nachricht erhalten, dass meine Tante gestorben ist.«
»Oh, das tut mir leid. Mrs Woodhouse war eine ganz reizende Person, die hin und wieder Schlüssel bei mir anfertigen ließ.«
»Danke, das ist sehr freundlich«, gab Diana zurück, während sie gegen das Tageslicht anblinzelte, das ihren tränenverbrannten Augen ein wenig zu grell erschien.
»Und Sie sind sicher, dass ich nicht doch ein anderes Mal wiederkommen soll?«
»Nein, kommen Sie doch rein, Mr Talbott.«
Während sie beiseitetrat, um den Schlüsselmacher einzulassen, bemerkte sie, dass Mr Green gerade mit verbissener Miene eine Schubkarre voller Heckenschnitt vor sich herschob.
Jeder hat seine Art, mit Trauer fertig zu werden, dachte Diana und wünschte sich insgeheim, dass sie sich auch irgendwie körperlich abreagieren könnte. Vielleicht sollte ich einen Spaziergang machen. Oder Rad fahren.
Mit der Gleichgültigkeit, die Menschen an den Tag legen, wenn sie nur oft genug an demselben Ort sind, folgte Mr Talbott ihr durch die Gänge, ohne für länger den Blick zu heben. »Ich wusste gar nicht, dass Sie schon für meine Tante gearbeitet haben«, bemerkte Diana, die sich irgendwie dazu verpflichtet fühlte, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Es war wie beim Friseur. Auch wenn man keine Lust hatte, mit einer weitestgehend Unbekannten zu reden, fing man schließlich doch vom Wetter an, nur um die missmutige Miene im Spiegel nicht mehr sehen zu müssen.
»Ja, Mrs Woodhouse war nicht gerade von der geschwätzigen Sorte. Aber eine sehr angenehme Frau. Solange alles nach ihren Wünschen lief, hat sie einen machen lassen. Schade nur, dass sie nicht wieder einen Mann gefunden hat. Bewerber soll es ja etliche gegeben haben, das erzählen jedenfalls die Leute im Dorf.«
War Tante Emmely wirklich Dorfgespräch gewesen?, fragte sich Diana. Als Kind hatte sie davon irgendwie nichts mitbekommen, denn sie hatte den schützenden Park nur selten verlassen und kaum Kontakt zu den Dorfkindern gehabt.
Da sie das Arbeitszimmer erreicht hatten, verzichtete Diana auf weitere Fragen. Das, was hinter der Flügeltür lag, schien den Schlüsselmacher ebenfalls nicht zu beeindrucken. Doch das Geheimfach hinter dem Regal entlockte ihm einen erstaunten Ausruf.
»Was wäre Tremayne House ohne Geheimfächer und Geheimgänge! Kein englisches Herrenhaus wurde ohne etwas dergleichen gebaut. Das habe ich immer zu Mrs Woodhouse gesagt, aber sie hatte nichts davon hören wollen.«
Ob es hier wirklich Geheimgänge gab? Oder einen Keller voller Geheimnisse?
Diana trat
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