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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Staubschicht bedeckt unter dem Fußende, etwa eine Armlänge von ihr entfernt. Zunächst glaubte sie, der Gärtner hätte versucht, sein Butterbrotpapier darunter zu entsorgen, doch als sie es hervorzog, sah sie, dass es sich um einen Umschlag handelte.
    »Mr Green?«
    Ihre Stimme verhallte ohne Antwort in der Gruft. Der Butler war längst wieder oben. »Entschuldigen Sie, Miss Diana, Sie haben nach mir gerufen?«, fragte er nach einigen Augenblicken und eilte rasch die Stufen hinunter. »Ich habe nur mal nachgesehen, ob der Friedhofsgärtner schon da ist.«
    Diana wandte sich um, den Blick immer noch auf den Brief in ihrer Hand gerichtet. »Das hier habe ich unter Deidres Sarg gefunden. Einen Umschlag.« Sie drehte den Brief herum. Adressiert war er an Grace Tremayne, doch weder fand sich darauf ein Absender noch ein Datum. Obwohl der Umschlag nur lose verschlossen war, entschied Diana sich dafür, ihn erst später zu öffnen. Die Gruft wurde ihr mit jedem Augenblick unangenehmer, denn sie fühlte sich auf einmal, als würden die Blicke ihrer Vorfahren auf ihr ruhen.
    »Haben Sie reingeschaut, was er enthält?«
    Irgendwie wirkte Mr Green nicht überrascht.
    »Nein, das werde ich nachher tun.« Diana schob den Umschlag in die Tasche. »Ich glaube, dieser Platz ist für meine Tante angebracht, meinen Sie nicht? Unter ihrer Mutter.«
    »Ich bin sicher, dass Mrs Woodhouse damit zufrieden sein wird.«
    Diana blickte in die Finsternis unter dem Sarg, erschauderte und zog sich wieder zurück. Vielleicht wollte Großmutter wirklich nicht hier liegen, sondern lieber im Freien, wo sie auf die Sterne blicken kann. Oder auf den Kranz aus Teeblättern.
    Oben wurde sie tatsächlich vom Friedhofsgärtner erwartet. Nach kurzer Absprache über die Beerdigungsmodalitäten schickte sie Mr Green wieder nach Hause. Sie selbst entschied sich, zu Fuß zu gehen. Unterwegs begegneten ihr ein paar Leute, die sie freundlich grüßte, obwohl sie nur verwunderte Blicke erntete. Einmal griff sie in ihre Tasche, um den Brief hervorzuziehen, ließ es dann aber bleiben. Stattdessen dachte sie darüber nach, wer ihn unter dem Sarg versteckt haben mochte. Emmely vielleicht? Hatte ihn jemand gestohlen und vom schlechten Gewissen gepackt nicht gewusst, wohin er ihn sonst tun soll? Doch wer konnte einfach so in die Gruft kommen?
    Wieder in Tremayne House angekommen, ging sie direkt ins Arbeitszimmer und ließ sich auf den Stuhl fallen. Bleierne Schwere senkte sich auf ihre Gliedmaßen. Der Stress der vergangenen Tage machte sich bemerkbar.
    Eigentlich wäre ihr mehr danach gewesen, sich auf dem Sofa langzumachen, doch der Brief ließ ihr keine Ruhe. Was beinhaltete er? Konnte es sein, dass er all die Jahre seid Dei­dres Beerdigung dort auf sie gewartet hatte? Verstaubt genug war er gewesen, und da er in der Dunkelheit gelegen hatte, wunderte es auch nicht, dass er kaum Stockflecken und Gilb angesetzt hatte. Allerdings wies der Umschlag zahlreiche schmutzige Fingerabdrücke und speckige Ränder auf. Als Diana ihn herumdrehte, meinte sie sogar ein paar Blutspritzer zu sehen.
    Vorsichtig strich sie den Umschlag auf der Glasplatte glatt. Wahrscheinlich war er irgendwann einmal zusammengeknüllt und anschließend akkurat geglättet, vielleicht sogar in ein Buch gepresst worden. Die feinen Kniffe hatten sich erhalten, sie wirkten wie ein zerknittertes Kleidungsstück, das man mit zu schwacher Temperatur gebügelt hatte.
    In Maschinenschrift war er an Grace Tremayne auf Tremayne House adressiert. Dianas Urahnin. War das der Brief eines Verehrers? Ein Absender stand nicht darauf.
    Mit leicht zitternden Händen zog Diana ein Blatt heraus. Dieses wirkte nicht weniger schmutzig, doch es gab immerhin keine Blutspuren. Die ausgelaufene Tinte deutete darauf hin, dass das Schreiben irgendwann einmal nass geworden war. Die Stellen, an denen es zusammengefaltet worden war, wirkten brüchig, ja beinahe, als würden die dünnen Holzfasern des Papiers bei Berührung zerfallen.
    Der Brief war nur recht kurz, doch die wenigen Zeilen brachten Diana dazu, sich erstaunt zurückzulehnen. Emmelys Großmutter Victoria entschuldigte sich darin bei ihrer Schwester, sprach von einem Skandal und kündigte den Besuch eines Mannes an, in den Grace wohl verliebt gewesen war. Außerdem versprach Victoria, immer für Graces Familie da zu sein.
    Was war da geschehen? Und warum waren Grace und Victoria nicht gemeinsam an einem Ort gewesen? Diana drehte das Blatt herum, fand aber keinen

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