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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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den Korridor entlang, passier­te das Zimmer von Miss Giles, die leise vor sich hin schnarchte, und erreichte schließlich die Treppe. Angestrengt ließ sie den Blick über den Hof schweifen. War da ­etwas Weißes?
    Nein, es handelte sich nur um den Brunnen, der vom Mondlicht beschienen wurde. Hinter ihr erhob sich dunkel der Pferdestall, weiterhin das Verwaltungsgebäude. War ­Vikrama schon fort? Hatte er vielleicht einen anderen Weg eingeschlagen?
    Eine Weile verharrte Grace reglos vor den Fenstern der Halle. Noch immer pochte ihr Herz vor Aufregung. Ihr Vater hatte einen Angestellten, der nachts seltsame Dinge trieb. Ob sie ihn darauf aufmerksam machen sollte?
    Nein, besser nicht, entschied sie für sich. Nicht, bevor ich weiß, was das alles zu bedeuten hat.
    Als sie sich umwandte, fiel ihr Blick auf die beiden tanzenden Götter. Erst jetzt bemerkte sie, dass beide ein Kurzschwert oder Messer in der rechten Hand hielten, während in der anderen Blüten lagen. Ihre Hosen erinnerten sie an das, was Vikrama getragen hatte, und auf einmal fiel ihr wieder ein, was Mr Cahill gesagt hatte. Hing Vikrama etwa diesem sogenannten Hinduismus an und hatte gerade irgendeine heilige Handlung vollzogen? Oder war es doch etwas Verbotenes, was er getrieben hatte? Warum sonst hätte er so schnell verschwinden sollen?
    Alles in ihr drängte danach, das herauszufinden. Vielleicht sollte ich damit anfangen, Vikrama tagsüber ein wenig zu beobachten, überlegte sie. Mit diesem Vorsatz huschte sie zurück in ihr Zimmer und legte sich nach einem kurzen Blick aus dem Fenster, wo sie aber keine weiteren Nachtwandler sah, wieder auf ihr Bett.
    Nachdem es ihr irgendwann gelungen war, doch einzuschlafen, wurde Grace bereits im Morgengrauen vom Geschrei der Papageien geweckt. Da sie nicht liegen bleiben wollte, huschte sie zur Waschschüssel und entledigte sich ihres Nachthemdes. Das Wasser war über Nacht angenehm lauwarm geworden. Als sie die Hände hineintauchte, flatterte ein Schmetterling auf den Rand der Schüssel und ließ sich darauf nieder, als gäbe es auf der Welt keinen besseren Platz. Grace hielt inne, in der Angst, dass sie ihn aus Versehen nass machen würde. Mr Norris behauptete immer, dass dies den Flügeln der Tiere schaden würde, weshalb sie sie immer zusammenklappten, wenn der Regen hereinbrach.
    Das Tier schien sich vor dem Wasser aber nicht zu fürchten. Auf und zu klappte es seine blau und schwarz gemusterten Flügel. Ein Prachtexemplar, an dem jeder Botaniker seine Freude gehabt hätte – auch Victoria. Doch Grace brachte es nicht über sich, sie zu wecken und den Schmetterling damit zum sicheren Tod zu verdammen. Während das Wasser über ihre Unterarme lief, beobachtete sie den Schmetterling, bis das Tier sich schließlich entschloss, wieder davonzuflattern. Fasziniert blickte Grace ihm hinterher, von einem seltsamen Zauber berührt, den sie diesem Ort gar nicht zugetraut hätte.
    Nachdem sie ihre Morgentoilette beendet hatte, setzte sie sich ans Fenster und beobachtete den Nebel, der die Teeplantage wie eine Daunendecke einhüllte. Das Morgenlicht verlieh ihm einen zarten Blauton, wie er in England vollkommen unmöglich war. Kein Ball in London, keine noch so schöne Robe konnte ihr das Gefühl vermitteln, das bei diesem Anblick auf sie einströmte. Sie fühlte Frieden, Ruhe und fast schon ein wenig Geborgenheit, Dinge, die sie selbst in ihrem Elternhaus nur selten gespürt hatte und von denen sie dachte, sie seien nicht wichtig.
    Erst als die Nebel allmählich dem Sonnenlicht wichen und Victoria sich regte, zog Grace sich von dem Fenster zurück, fest entschlossen, jetzt nicht mehr dem verlorenen Glanz nachzutrauern, sondern hier nach neuem Glanz zu suchen – und dem wunderbaren Gefühl der Morgenstunden.
    »Heute nach dem Frühstück schleichen wir uns vom Garten aus an die Fenster von Vaters Arbeitszimmer!«, schlug Grace ihrer noch recht verschlafen dreinschauenden Schwester vor, während sie deren Haar bürstete.
    »Und was soll das bringen?«, gab Victoria missmutig zurück. »Ich würde lieber Papageien fangen.«
    »Dazu brauchst du aber ein Netz.«
    »Bestimmt gibt es hier jemanden, der mir eins bauen kann«, beharrte Victoria, während sie sich über die Augen rieb.
    »Selbst wenn du ein Netz hast, weißt du aber noch immer nicht, wo du die besten Tiere bekommen kannst.«
    »Es würde mir schon reichen, wenn ich diesen wunderschönen blauen bekomme.«
    Grace blickte sie prüfend im Spiegel an, zog

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