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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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dann eine Augenbraue hoch, wie Vater es manchmal tat, wenn er an irgendetwas zweifelte. »Wirklich? Aber woher willst du wissen, ob es nicht noch andere Papageien gibt? Violette vielleicht?«
    »Ich mag kein Violett«, quengelte Victoria. »Sonst hätte ich mir auch diesen Amethyst in der Chatham Street kaufen können.« Sie deutete auf den vermeintlichen Saphir, den sie vor das kleine goldgerahmte Bild ihres verstorbenen Hundes Oscar gestellt hatte.
    »Aber du magst Rot und Orange«, hielt Grace dagegen, während sie den Zopf beinahe vollendet hatte. »Und vielleicht findest du auch einen regenbogenfarbenen.«
    »Meinst du, die gibt es?« Neugier blitzte in Victorias Augen auf.
    »Aber sicher! Und er würde sich bestimmt sehr hübsch mit deinem blauen Papagei in der Voliere machen.«
    »Voliere? Aber werden Papageien nicht in Käfigen gehalten?«
    »Sicher, aber in einer Voliere kann man viel mehr Papageien halten. Und sie schlüpfen dann nicht durch die Gitterstäbe.« Auf einmal fiel Grace noch etwas anderes ein. Sie hätte es beinahe vergessen. »Außerdem gibt es hier sicher Flughunde. Mr Norris hat doch schon von ihnen erzählt, oder?«
    Victorias Augen begannen zu leuchten.
    »Flughunde! Natürlich hat er davon berichtet. Schon lange! Sie sollen auf Bäumen wohnen und sich auf ihre ahnungslosen Opfer fallen lassen.«
    »Meinst du nicht, dass sie tagsüber schlafen?«
    »Sicher tun sie das, aber nachts lassen sie sich auf ihre Opfer fallen.« Die theatralische Geste, mit der Victoria ihre Worte unterstrich, brachte Grace beinahe zum Lachen.
    »Also gut, machen wir nachher einen Spaziergang. Dann kannst du auch vor Papas Fenster lauschen.«
    »Danke, Schwesterherz, du wirst es nicht bereuen!«
    Zufrieden lächelnd flocht Grace ihrer Schwester den Zopf im Nacken. Sie hätte eigentlich auf Victorias Begleitung verzichten können, doch sie benötigte sie als Alibi. Wenn man sie bemerkte, konnte sie vorgeben, mit Victoria in den Garten gelaufen und zufällig dort aufgetaucht zu sein, wo ihr Vater mit dem jungen Mann herumlief.
    Ein seltsames Kribbeln erwachte in ihrem Bauch, als sie wieder an ihre Beobachtung dachte. Seit sie erwacht war, hatte sie die Szene immer wieder rekapituliert und sich dabei an mehr und mehr Details erinnert. Die Wölbung seiner Muskeln, seine kräftigen Waden, das schwarze Haar, das wild um seinen Kopf herumflog …
    »Warum wirst du denn auf einmal rot?«, riss Victoria sie aus ihrem Nachdenken fort. »Hast du gerade irgendwelche unanständigen Gedanken?«
    Manchmal fand Grace es beinahe schon unheimlich, wie gut ihre Schwester sie kannte und ihre Mimik deuten konnte.
    »Nein, natürlich nicht!«, wehrte sie ab und senkte den Blick, damit Victoria nicht noch fragen konnte, ob ein Mann dahintersteckte. »Und jetzt halt still, ich will deinen Zopf zusammenstecken.«
    Das Frühstück wurde laut Familientradition im Speisesaal eingenommen, den die Schwestern am Abend bereits kennengelernt hatten. Nur im Krankheitsfall und nach einer langen Abendveranstaltung brachten die Dienstmädchen das Frühstück auf die Zimmer. Henry Tremayne schätzte es sehr, den Morgen im Kreis seiner Familie zu verbringen, da er sich meist spät von seiner Arbeit und seinen Verpflich tungen abwandte und bestenfalls zum Abendessen erschien.
    Im Gegensatz zu gestern, wo der Raum noch ziemlich unpersönlich ausgesehen hatte, schmückten nun Blütenarrangements in Weiß und Orange das Tischtuch. Das Geschirr stand blankpoliert bereit.
    »Offenbar hat Mama mit dem Einrichten begonnen«, bemerkte Victoria freudig.
    »Und sie hat Mr Wilkes angewiesen, den Dienstmädchen Beine zu machen«, setzte Grace hinzu. Als hätte er seinen Namen schon aus der Ferne vernommen, erschien der Butler plötzlich hinter ihnen.
    »Guten Morgen, Miss Grace, Miss Victoria. Sie sind reichlich früh dran. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Nacht.«
    »Sie war ein wenig unruhig«, antwortete Grace, während sie sich zu ihrem Platz begab. Mr Wilkes trat hinter sie und zog den hohen Lehnstuhl zurück, damit sie sich setzen konnte. »Aber das ist kein Wunder bei diesen Temperaturen, nicht wahr?«
    »Da haben Sie vollkommen recht«, stimmte Wilkes zu, dann wandte er sich Victoria zu, um ihr ebenfalls beim Hinsetzen behilflich zu sein.
    »Wie war Ihre Nacht, Mr Wilkes?«, fragte sie scheinbar unbefangen, doch Grace wusste nur zu gut, dass sie es liebte, den korrekten Butler aus der Fassung zu bringen. Für gewöhnlich interessierten sich Herrschaften

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