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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Drang, aus dem Bett zu steigen und aus dem Fenster zu schauen. Vielleicht gab es ja irgendwelche fremdartigen Tiere, die des Nachts durch den Garten liefen. Oder Schlangen. Auf dem Weg hierher hatten sie keine gesehen, dafür aber in der Stadt, im Korb eines jungen Schlangenbeschwörers. Grace lief ein Schauer über die Arme, als sie daran dachte, wie der Junge die Kobra, die ihn wütend anzischelte, besänftigt und zum Tanzen gebracht hatte. War es vielleicht gut, hier ständig eine Flöte dabeizuhaben, für den Fall, dass sich eine Kobra blicken ließ?
    Am Fenster angekommen zog sie sich eines der Bodenkissen heran und ließ sich darauf nieder. Dank der sehr niedrigen Fensterbretter konnte sie auch im Sitzen einen ganzen Teil des Gartens überblicken.
    Obwohl niemand sie beobachten konnte, zog Grace sittsam ihr Nachthemd über ihre leicht angewinkelten Beine und versank in den Anblick des Mondes, der wie ein riesiges Glühwürmchen über den Baumkronen schwebte.
    In England hatte der Mond nie so ausgesehen. Meist war er von einem dunstigen Rand umgeben, der von neuerlichem Regen zeugte. Doch hier leuchtete der Mond so sattgelb wie ein holländischer Käselaib, und der Himmel schien auch in der Nacht seinen violetten Unterton nicht zu verlieren.
    Plötzlich huschte etwas Dunkles über die Bäume hinweg. Zunächst hielt Grace es für einen Vogel, doch dafür waren seine Bewegungen viel zu hektisch.
    Dann fiel es ihr ein: Das musste eine Fledermaus sein! Auch in Tremayne House ließen sich in der Abenddämmerung Fledermäuse sehen, allerdings waren diese nicht mal halb so groß. Der wohlige Schauer, der sie sonst nur beim ­Lesen einer Gruselgeschichte überkam, strich auf einmal über ihren Rücken. Waren diese großen Fledermäuse etwa blutsaugende Vampire? Oder gar Flughunde, die in Indien in ganzen Scharen von den Bäumen hingen?
    Grace notierte sich im Geiste, morgen Victoria darauf ­anzusprechen. Sie würde gewiss begeistert sein und darauf bestehen, sehr zum Schrecken ihrer Mutter einen Flughund fangen zu wollen.
    Als sie den Blick wieder senkte, leuchtete ihr zwischen den dunklen Hecken etwas Weißes entgegen.
    Zunächst hielt sie es für eine Täuschung, doch dann sah sie, dass es sich bewegte. Victoria hätte jetzt sicher behauptet, dass es ein Geist war, den sie sah, doch Graces Verstand erkannte, dass es sich um eine Person handelte, die in weiße Pluderhosen gekleidet war.
    Als das Mondlicht die Gestalt traf, riss Grace die Augen auf. Es war ein Mann, ein Mann mit nacktem Oberkörper! Unwillkürlich hielt sie die Luft an. Noch nie hatte sie einen Mann so gesehen. Obwohl ihr das Blut in die Wangen schoss und die mahnende Stimme von Miss Giles durch ­ihren Verstand echote, konnte sie den Blick einfach nicht abwenden.
    Der Mann, der sich unbeobachtet wähnte, trug ein läng­liches, in Stoff eingeschlagenes Bündel unter dem Arm. Offenbar kehrte er von irgendwoher zurück.
    Als Grace langsam wieder ausatmete, streifte ein Lichtstrahl sein Gesicht. Der dunkle Oberlippen- und Kinnbart hob sich deutlich von seiner Haut ab, die zu hell für einen ­Tamilen und zu dunkel für einen Engländer war. Ganz eindeutig handelte es sich hier um den jungen Mr Vikrama!
    Nach dem kurzen Moment des Erkennens verschluckte der Schatten seine Züge wieder, doch Grace starrte auch weiterhin wie elektrisiert und mit wie vom Fieber glühenden Wangen auf die Stelle, an der sie ihn gesehen hatte.
    Wo war er gewesen? Und warum trug er diesen Aufzug, der an Abbildungen aus dem Orient erinnerte? Warum hatte er weder Schuhe noch ein Hemd an? Und was trug er da bei sich?
    Als sie das Gefühl hatte, dass er den Kopf heben wollte, verschwand sie rasch hinter einem der Vorhänge. Dabei trommelte ihr Herz schnell gegen ihren Brustkorb und ihr Atem erschien ihr auf einmal überlaut. Vergebens lauschte sie nach Schritten. Selbst wenn ihr Körper nicht so heftig reagiert hätte, hätte sie wahrscheinlich nichts hören können, denn das Gras dämpfte die Schritte der nackten Füße.
    Als sie sich wieder traute, hinter dem Vorhang hervorzusehen, war Vikrama verschwunden.
    Unruhe überkam Grace auf einmal. Der Drang, durchs Haus zu laufen und nachzusehen, ob er so, wie er war, auch über den Hof ging, wurde so groß, dass sie sich kurzerhand erhob und auf Zehenspitzen aus dem Raum schlich.
    Im ganzen Haus war es still bis auf ein leises Raunen, das vom Wind kam, der durch viele offene Fenster und unter Tür­ritzen hindurchstrich. Grace eilte

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