Die Schnapsstadt
sagte er auf seinem lederbezogenen Drehsessel kauernd mit gespielter Freundlichkeit. Sein Gesichtsausdruck und seine Stimme erinnerten an vorüberziehende Wolken bei Sonnenuntergang: Blendend hell und ständig im Wandel. Er hatte etwas von einem Furcht erregenden Dämon an sich, einem der schurkischen von ihrem Herrn abgefallenen fahrenden Ritter aus einem Kung-Fu-Roman. Mit angespannten Nerven saß ich ihm auf dem Sofa gegenüber. Hör mal, Kleiner, spottete er, seit wann hast du dich mit diesem stinkenden Schurken Mo Yan zusammengetan? Mit nervös zitternder Stimme, gackernd wie eine Henne, die ihre Küchlein um sich schart (obgleich ich versuchte, mir klar zu machen, dass ich nicht wirklich gackerte), sagte ich: Er ist mein Lehrer, unsere Beziehung ist rein literarisch. Zu meinem großen Bedauern habe ich ihn bis zum heutigen Tage noch nie persönlich kennen gelernt. Bösartig kichernd – hi, hi, hi – sagte er: Dieser Schurke heißt in Wirklichkeit gar nicht Mo Yan. Wusstest du das schon? In Wirklichkeit heißt er Guan Moye und ist ein Nachkomme in der siebenundachtzigsten Generation eines gewissen Guan Zhong, der in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen Minister im Lehensstaat Qi war. Jedenfalls behauptet er das. In Wirklichkeit ist es alles Quatsch. Schriftsteller, sagst du? Wenn man ihn so reden hört, müsste er so etwas wie das größte Genie der neueren chinesischen Literatur sein. Ich sage dir, ich weiß alles, was es über ihn zu wissen gibt. Verblüfft platzte ich heraus: Wie kannst du alles wissen, was es über meinen Lehrer zu wissen gibt? Und er antwortete mir: Wenn du willst, dass niemand etwas weiß, dann darfst du nichts tun. Dieser Schurke war von Kindheit auf ein Taugenichts. Als er sechs Jahre alt war, hat er die Lagerhalle einer Produktionsbrigade in Brand gesteckt. Mit neun Jahren verliebte er sich in eine Lehrerin namens Meng. Er lief ständig hinter ihr her und ist ihr furchtbar auf die Nerven gegangen. Mit elf Jahren hat er ein paar Tomaten gestohlen und gegessen und hat Prügel dafür bezogen. Mit dreizehn musste er, weil er Rüben gestohlen hatte, vor der Statue des Vorsitzenden Mao knien und in Anwesenheit von mehr als zweihundert Bauarbeitern um Vergebung bitten. Der kleine Schurke hat ein gutes Gedächtnis und kann witzig erzählen. Dafür hat ihn sein Vater so ausgepeitscht, dass sein Arsch aufs Doppelte seines Umfangs geschwollen ist. Wagen Sie es nicht, den Namen meines verehrten Meisters in den Schmutz zu ziehen!, protestierte ich lauthals. Seinen Namen in den Schmutz ziehen? Alles, was ich gerade erzählt habe, habe ich aus seinen eigenen Schriften, sagte er bösartig lächelnd. Ein verkommener Schurke wie er ist genau der Richtige, um die Geschichte meines Lebens zu schreiben. Man muss ein böser Geist wie er sein, um einen bösen Helden wie mich zu verstehen. Schreib ihm, er soll so schnell wie möglich nach Jiuguo kommen. Ich werde mich nicht kleinlich erweisen, sagte er und schlug sich an die Brust. Von seinen prahlerischen Behauptungen und dem lauten Trommeln angeregt, drehte er sich wie auf einem Karussell in seinem Drehsessel. In einem Augenblick blickte ich ihm ins Gesicht, im nächsten sah ich nur noch seinen Hinterkopf. Gesicht, Hinterkopf, Gesicht, Hinterkopf, ein schlaues lebendiges Gesicht, ein Hinterkopf so rund wie ein Kürbis und voll von Wissen. Er drehte sich immer schneller, bis er abzuheben begann.
Meister Yichi, sage ich, ich habe ihm schon geschrieben, aber ich habe noch keine Antwort. Ich muss befürchten, dass er nicht an Ihrer Lebensgeschichte mitarbeiten will.
Verächtlich lächelnd sagt er: Mach dir darüber keine Sorgen. Er wird es schon tun. Vier Dinge musst du über diesen kleinen Schurken wissen: Erstens, er liebt Frauen. Zweitens, er raucht und trinkt. Drittens, er ist immer knapp bei Kasse. Und viertens, er ist unentwegt auf der Jagd nach Berichten über geheimnisvolle und übernatürliche Ereignisse, die er in seine Romane einbauen kann. Keine Angst, der kommt schon. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sonst auf der Welt ihn so gut kennt wie ich.
Er drehte sich weiter auf seinem Sessel herum und sagte voll ätzender Ironie: Herr Doktorand der Alkoholkunde, was für ein Doktorand bist du überhaupt? Hast du auch nur eine Ahnung davon, was Alkohol ist? Eine Art Flüssigkeit? Quatsch! Das Blut Jesu Christi? Quatsch! Etwas, das deinem Geist auf die Sprünge hilft? Quatsch! Alkohol ist die Mutter der Träume, und Träume sind die Töchter des
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