Die Schnapsstadt
Phantasie, um auf so eine Idee zu kommen», erwiderte Jin Gangzuan ärgerlich. «Ich möchte Euer Ehren jetzt im Namen des Parteikomitees und der Stadtverwaltung unserer Stadt Folgendes ausrichten: Wir heißen Ermittler Ding Gou'er von der Oberstaatsanwaltschaft in unserer Stadt willkommen. Wir sind bereit, ihm jede Unterstützung zu gewähren, die er braucht.»
«Sie könnten meine Ermittlungen leicht blockieren», sagte Ding Gou'er.
Jin Gangzuan klopfte auf seine Tasche. «Was wir haben, sind genau genommen zwei Ehebrecher, die in gegenseitigem Einverständnis handeln. Ihr Benehmen ist abscheulich, aber Sie haben kein Gesetz gebrochen. Und selbst wenn es in meiner Macht stünde, Sie auf dem Bauch kriechend wie einen Hund dahin zurückzujagen, von wo Sie gekommen sind, muss das Privatinteresse dem Gemeinwohl untergeordnet werden, und ich werde Sie bei der Erfüllung Ihres Auftrags nicht behindern.»
Jin Gangzuan öffnete den Getränkeschrank, nahm eine Flasche Maotai heraus, schraubte die Metallkappe ab und leerte die Flasche in zwei große Gläser. Er bot Ding Gou'er das eine an und hob das andere zu einem Trinkspruch: «Auf eine erfolgreiche Ermittlung!», sagte er und stieß mit Ding Gou'er an. Er warf den Kopf in den Nacken und trank sein Glas in einem Zug aus. Mit dem leeren Glas in der Hand, einem Zucken in der Backe und einem Leuchten in den Augen sah er Ding Gou'er an.
Der Anblick des zuckenden Backenmuskels brachte Ding Gou'er in Rage. Er griff nach seinem Glas und zwang sich, es bis zum letzten Tropfen zu leeren.
«Gut so!», lobte ihn Jin Gangzuan. «Jetzt benehmen Sie sich wie ein richtiger Mann!» Er kehrte zum Getränkeschrank zurück und holte einen Arm voll Flaschen heraus. Es waren alles bekannte Marken. «Und jetzt wollen wir sehen, wer von uns beiden der Bessere ist», sagte er und zeigte auf die Flaschen. Geschickt öffnete er eine nach der anderen und begann einzuschenken. Schnapsduft wehte durch die Luft. «Wer nicht mittrinkt, ist ein Hurensohn!» Sein Tic war inzwischen völlig außer Kontrolle geraten. Jin Gangzuan streifte den Lack der Zivilisation ab und entpuppte sich als hart gesottener Trinker. «Können Sie mithalten?», forderte er den Ermittler mit zurückgeworfenem Kopf heraus und leerte sein Glas. Immer wieder zuckte der Backenmuskel. «Manche Leute lassen sich eher Hurensöhne schimpfen, als ein Gläschen Schnaps zu trinken.»
«Wer hat gesagt, dass ich nicht trinke?» Ding Gou'er griff zum Glas und leerte es – gluck, gluck, gluck! – in einem Zug. In seinem Schädel öffnete sich ein Fenster, und sein Bewusstsein verwandelte sich in einen Schmetterlingsdämon so groß wie ein Vollmondfächer, der im Lampenlicht tanzt. «Trinkt! … Ich scheiße auf euch alle! Auf jeden einzeln! Trinkt, bis der letzte Tropfen in Jiuguo …» Er sah seine Hand auf die Größe eines Gebetsteppichs anschwellen. Riesige Finger griffen nach Flaschen, die auf die Größe von Tapeziernägeln, von Nähnadeln geschrumpft waren, dann plötzlich so groß wurden wie Weinkelche, wie Metalleimer, wie Baseballschläger. Das Lampenlicht flackerte, der Schmetterling taumelte durch die Luft. Nur der zuckende Backenmuskel blieb, wie er war. Trinkt! Alkohol schmiert die Kehle wie Honig. Seine Zunge und seine Kehle fühlten sich unbeschreiblich wohl. Trinkt! Er sog die Getränke in sich, so schnell er konnte, und sah dann zu, wie die klare Flüssigkeit sanft und glatt seine braune, gewundene Kehle hinunterlief. Seine Gefühle schwangen sich empor und tanzten über den Wänden des Zimmers.
Jin Gangzuan bewegte sich langsam ins Licht und hob dann ruckartig wie ein Komet ab. Das Lächeln in seinem Gesicht schlug eine Bresche durch das goldene Leuchten wie ein rasiermesserscharfer Säbel und öffnete ein Netz von Spalten und Ritzen, durch das er sich ungehindert gleitend und schlüpfend bewegte, bis er plötzlich verschwand.
Der bunte Schmetterling sah erschöpft aus, seine Flügel wurden schwerer und schwerer, als werde ihnen der Morgentau zu schwer. Schließlich ließ er sich mit zitternden Fühlern auf einem Arm des Kronleuchters nieder und sah zu, wie sein Skelett schwer zu Boden fiel.
II
Verehrter Meister Mo Yan!
Ich mache mir Sorgen, weil ich so lange nichts von Ihnen gehört habe. Sind Sie eingeschnappt, weil ich mich in meinem letzten Brief allzu enthusiastisch über meine eigenen Werke geäußert habe? Hat mein Geschwätz Sie irritiert? Wenn es so ist, bebt Ihr demütiger Schüler vor Furcht
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