Die Schnapsstadt
muss so eine Schnapsmotte im Magen haben, sagte ich. Er kann noch nach tausend Schälchen hochprozentigem Alkohol nüchtern vom Tisch aufstehen.
Quatsch! Der und eine Schnapsmotte? Alles, was er hat, ist ein Haufen Schnapsbandwürmer. Mit einer Schnapsmotte kannst du zum Weingott werden, mit einem Schnapsbandwurm allenfalls zum Weinteufel.
Warum haben Sie die Schnapsmotte nicht einfach wieder heruntergeschluckt?
Du hast wirklich von nichts eine Ahnung! Die Schnapsmotte war so durstig, dass sie erstickt ist, als sie in das Fass fiel. Die traurigen Erinnerungen trieben ihm die Tränen in die Augen.
Älterer Bruder Yichi, sagte ich, sagen Sie mir, wie der Kneipenbesitzer heißt, und ich mache Kleinholz aus seinem Laden.
Yu Yichi brach in brüllendes Gelächter aus. Dann sagte er: Du kleiner, verwirrter Dummkopf, du! Hast du das wirklich alles geglaubt? Ich habe jedes Wort davon erfunden. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es so etwas wie eine Schnapsmotte gibt? Das war nur eine der Geschichten, die der Kneipenbesitzer erzählte. Jeder Gastwirt träumt von einem Fass, das nie leer wird. Aber das ist reine Phantasie. Ich habe jahrelang in dieser Kneipe gearbeitet, aber ich war zu klein für die schwere Arbeit, und der Besitzer nörgelte die ganze Zeit an mir herum, weil ich zu viel aß und weil meine Augen zu dunkel waren. Schließlich hat er mich rausgeschmissen. Danach habe ich mich rumgetrieben. Manchmal habe ich gebettelt, manchmal habe ich für mein Essen gearbeitet.
Sie haben die Härten des Lebens erfahren, aber jetzt sind Sie ein wahrer Mann.
Quatsch, Quatsch, Quatsch … Nachdem er oft genug «Quatsch» gesagt hatte, knurrte er aus einem Mundwinkel: Hör bloß mit den Gemeinplätzen auf! Damit kannst du andere beeindrucken, aber nicht mich. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt werden ausgebeutet und misshandelt, aber die dabei zu wahren Männern werden, sind so selten wie Phönixfedern und Einhornhufe. Das ist alles vorherbestimmt. Es steckt einem in den Knochen. Wenn du mit den Knochen eines Bettlers zur Welt kommst, wirst du dein Leben lang ein Bettler bleiben. Verdammt nochmal, ich will mich nicht mehr mit dir darüber unterhalten. Das ist, als spiele man einem Ochsen etwas auf der Laute vor. Du bist einfach nicht klug genug, um etwas davon zu verstehen. Das Einzige, was du kannst, ist Getreide in Schnaps verwandeln, und das kannst du auch nicht besonders gut. Genau wie Mo Yan: Das Einzige, was der kann, ist Romane schreiben, und das kann er auch nicht besonders gut. Ihr zwei – der Lehrer und sein Schüler – seid alle beide eingebildete Arschlöcher, Söhne von perversen Schildkröten. Dass ich euch auffordere, meine Biographie zu schreiben, ist eine Ehre, die ihr nicht verdient habt. Putzt euch die Ohren und hört zu, ihr kleinen Gauner, wenn euer ehrenwerter Vorfahre euch eine neue Geschichte erzählt.
Dann erzählte er:
Es war einmal vor langer Zeit, da sah ein gebildeter kleiner Junge der Vorstellung von zwei Schaustellern zu, eines wunderschönen Mädchens von etwa zwanzig Jahren und eines älteren Taubstummen, anscheinend ihres Vaters. In Wirklichkeit bestritt sie die Vorstellung allein. Der ältere Taubstumme kauerte nur am Straßenrand und passte auf ihre Requisiten und Kostüme auf, ohne dass ersichtlich gewesen wäre, wozu das gut sein sollte. Der alte Knabe war offenbar völlig überflüssig. Und trotzdem wäre das Team ohne ihn irgendwie unvollständig gewesen, und man konnte nicht auf ihn verzichten. Er diente als hässlicher Hintergrund, vor dem sich das junge Mädchen umso schöner abhob.
Als Eröffnungsnummer holte sie ein Ei aus der Luft, dann eine Taube und ließ dann noch ein paar andere Dinge – kleinere und größere – erscheinen und wieder verschwinden. Ganz normale Kunststücke. Als immer mehr Leute hinzuströmten und schließlich eine undurchdringliche Mauer um sie bildeten, verkündete sie: Meine Damen und Herren, mein geliebtes Publikum, eure unwürdige Dienerin wird jetzt einen Pfirsichbaum pflanzen. Aber bevor ich anfange, sollten wir ein Zitat des Vorsitzenden Mao bedenken: Unsere Literatur und unsere Kunst dienen den Arbeitern, Bauern und Soldaten. Dann hob sie einen Pfirsichkern vom Boden auf, pflanzte ihn in einem Erdloch ein, spuckte einen Mund voll Wasser darüber und befahl ihm: Wachse! Und siehe da, eine leuchtend rote Pfirsichblüte spross aus dem Boden, wuchs höher und höher und wurde schließlich zu einem ausgewachsenen Baum. Die Menge sah
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