Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
Alkohols. Und dann gibt es da noch etwas Wichtiges, sagte er zähneknirschend und starrte mich an, Alkohol ist das Schmiermittel des Staatsapparats. Ohne Alkohol käme die Maschine zum Stillstand. Verstehst du, wovon ich spreche? Ein Blick in dein hässliches Narbengesicht verrät mir, dass du nichts verstehst. Wirst du in Zusammenarbeit mit diesem kleinen Arschloch Mo Yan meine Biographie schreiben oder nicht? Also gut, dann werde ich euch dabei helfen und eure Tätigkeit koordinieren. Damit du es ein für alle Mal weißt: Kein Biograph, der etwas von seinem Beruf versteht, verschwendet seine Zeit damit, Zeitzeugen zu befragen. Neunzig Prozent von allem, was man in Interviews erfährt, sind Lügen und freie Erfindung. Was du tun musst, ist, das Wirkliche vom Falschen trennen und zur Wahrheit vorstoßen, indem du erkennst, was hinter den Lügen und Erfindungen steckt.
    Ich will dir mal etwas sagen, Kleiner; und das kannst du an deinen Kumpel Mo Yan weitergeben: Du musst wissen, dass Yu Yichi dieses Jahr fünfundachtzig wird. Ein anständiges Alter, findest du nicht? Ich möchte bloß wissen, wo ihr zwei kleinen Blödmänner damals wart, als ich über Land zog und von meinem Mutterwitz leben musste. Wahrscheinlich habt ihr irgendwo in den Maiskolben oder unter den Kohlköpfen oder zwischen den eingelegten Rüben oder hinter den Kürbiskernen versteckt auf eure Geburt gewartet. Schreibt dieser Schurke Mo Yan an seinem Roman Schnapsland? Ich habe mehr Alkohol vertilgt als er Wasser. Wisst ihr beiden, wer der schuppige Junge ist, der in mondhellen Nächten die Eselsgasse hinauf- und hinabgaloppiert? Das bin ich! Ich bin es! Frag nicht, wo ich herkomme. Meine Heimatstadt liegt im gleißenden Sonnenlicht. Wie? Du kannst die Ähnlichkeit nicht sehen? Du glaubst nicht, dass ich über die Dachbalken fliegen und auf Mauern laufen kann? Gestatte mir eine kleine Vorführung, die dir sozusagen die Augen öffnen soll.
    Lieber und verehrter Lehrer Mo, was nun geschah, ist eines jener Ereignisse, die einen mit herausquellenden Augen und stummer Zunge zurücklassen. Aus den Augen dieses Schrecken erregenden Zwergs schossen Lichtstrahlen wie glühende Dolche, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er auf dem Sitz seines Ledersessels in sich zusammenschrumpfte und sich in eine Schattengestalt verwandelte, die sich leicht wie eine Feder in die Lüfte erhob. Der Stuhl drehte sich weiter, bis er – plumps – auf seiner Achse hängen blieb. Inzwischen klebte unser Freund, der Held dieser Erzählung, unter der Decke. Alle vier Gliedmaßen, ja sein ganzer Körper, schienen mit Saugnäpfen ausgestattet zu sein. Er sah aus wie eine riesige abscheuliche Eidechse, die sorglos und entspannt über die Zimmerdecke kroch. Aus der Höhe hörte ich gedämpft seine Stimme, die sprach: Hast du das gesehen, Kleiner? Das war noch gar nichts. Mein Lehrmeister konnte die ganze Nacht und den ganzen Tag an der Decke hängen, ohne auch nur einen Muskel zu bewegen. Mit diesen Worten schwebte er wie ein dunkles fallendes Blatt von der Decke herab.
    Als er wieder in seinem Sessel angekommen war, fragte er selbstzufrieden: Na, was sagst du dazu? Glaubst du jetzt an meine Fähigkeiten?
    Nach seiner mysteriösen und erschreckenden Eidechsennummer war mein ganzer Körper von kaltem Schweiß bedeckt. Es war, als hätte ich einen Blick in eine Traumwelt werfen dürfen. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass der heldenhafte Jüngling auf dem prächtigen Reittier kein anderer war als dieser hässliche Zwerg. Mein Geist geriet in Verwirrung. Ein Idol war vom Sockel gestürzt, und mein Bauch war geschwollen von den drückenden Winden der Enttäuschung. Verehrter Meister, wenn Sie sich an die Beschreibung des schuppigen Jünglings in meiner Erzählung Eselsgasse erinnern – das helle Mondlicht, den verzauberten kleinen schwarzen Esel, das Klappern über den Dachziegeln, das Schmetterlingsmesser zwischen den Zähnen eines majestätischen Jünglings –, dann werden Sie meine Enttäuschung verstehen.
    Der Zwerg fuhr fort: Du glaubst mir nicht, und du willst mir auch nicht glauben, dass ich und der schuppige Jüngling ein und derselbe sind. Das sehe ich in deinen Augen. Aber es ist nun einmal so. Wahrscheinlich wirst du fragen, wo ich diese bemerkenswerten Fähigkeiten erworben habe, aber das kann ich dir nicht sagen. Ehrlich gesagt: Bist du bereit, dein Leben so leicht zu nehmen wie eine Gänsefeder, gibt es nichts, das du nicht lernen könntest.
    Er zündete eine

Weitere Kostenlose Bücher