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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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wieder. Klar und deutlich wie ein Film tauchte das Bild der nackten Lastwagenfahrerin, die mit dem Hühnerbrüstchen von einem krummbeinigen buckligen Zwerg im Bett lag, vor seinem inneren Auge auf. Eine Szene, wie man sie in der Pubertät durchs Schlüsselloch beobachtet. Je länger er den Film vorüberziehen ließ, desto lebendiger und bunter wurde er. Die Haut der Lastwagenfahrerin war golden wie die eines rundlichen weiblichen Blutegels. Sie war bedeckt von einem schlüpfrigen, öligen Schleim, der einen schwachen, aber nicht besonders angenehmen Geruch verströmte. Die kleine Warzenkröte Yu Yichi betatschte sie mit seinen Fußzehen, zwischen denen Schwimmhäute wuchsen. Er quakte und quakte, und in seinen Mundwinkeln standen schäumende Blasen … Ding Gou'ers Herz glich einem Blatt, das im Wind erzittert. Wie gerne hätte er sich die Brust aufgerissen, das Herz herausgerissen und es ihr ins Gesicht geworfen. Schlampe! Dreckige Schlampe! Er konnte die Szene vor sich sehen: Ermittler Ding, der steinerne Gast, so stark und rein wie eine Marmorstatue, tritt die cremefarbene Tür mit der Spitze seines Lederschuhs ein. Direkt vor ihm steht ein Bett, ein einsames Bett, auf dem die überraschte Lastwagenfahrerin und Yu Yichi liegen. Der Zwerg rollt wie eine Kröte vom Bett. Sein Bauch ist mit Ekel erregenden roten Flecken übersät. Er kauert voll Furcht an der Wand. Hühnerbrüstchen, Buckel, O-Beine – vielleicht auch X-Beine –, ein viel zu großer Kopf, weiße Augen, eine krumme Nase, keine Lippen, gelbe Zähne, zwischen denen weite Lücken klaffen, ein Mund wie eine schwarze Höhle, aus der widerlicher Gestank quillt, große, trockene, beinah durchsichtige und leicht gelbe zuckende Ohren, schwarze affenartige Arme, die bis zum Boden hängen, ein dicht behaarter Körper, verwachsene Füße mit mehr Zehen, als ein normaler Mensch sie hat, von seinem tintenschwarzen Eselspimmel ganz zu schweigen. Wie konntest du nur mit einem abscheulichen Geschöpf wie ihm schlafen? …
    Der Ermittler konnte sich nicht zurückhalten und heulte laut und lang auf. «Was hast du gesagt? Was, zum Teufel, hast du gesagt?», fragte der alte Revolutionär, Großvater Qiu. Der große gelbe Hund fing an zu bellen … Dann schreit sie erschreckt auf und zieht sich die Decke über den nackten Körper, wie man das immer im Kino sieht. Unter der Decke zittert ihr Körper. Er ahnt das Fleisch, das er so gut kennt: üppig, fest, süß duftend. Als hätten zehntausend Pfeile sein Herz durchbohrt. Ein Schmerz, den er noch nie erfahren hat. Ein blaues Licht blitzt vor seinen Augen auf. Sein Gesicht hat die klaren Züge und die helle Farbe von kaltem Stahl. Er hebt die Pistole, legt den Finger um den Abzug, bewegt die Pistole leicht hin und her, wendet sie in elegantem Schwung, zielt sorgfältig, und – peng! – eine laute Detonation, und der Spiegel hinter Yu Yichis Kopf zerspringt in tausend Stücke. Glitzernde, klirrende Glasscherben fallen zu Boden. Yu Yichi liegt wie versteinert auf dem Teppich. Dann steckt der Ermittler die Waffe wieder ins Holster, dreht sich wortlos um – keinen Blick zurück! – und verlässt Yu Yichis Taverne. Verzeih mir, verzeih mir!, wimmert sie auf dem Boden kniend, in das Bettlaken gehüllt – keinen Blick zurück! –, und er geht die sonnigen Straßen von Jiuguo entlang. Die Passanten starren ihn voll Furcht und Bewunderung an, Männer und Frauen, Junge und Alte. Eine alte Frau gleicht seiner Mutter aufs Haar. Die Tränen stehen ihr in den Augen, ihre welken Lippen zittern. Mein Junge, sagt sie, mein Junge. Ein Mädchen in jungfräulichem Weiß. Lange goldene Locken fallen über ihre Schultern. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge. Die Augen unter den dicken geschwungenen Wimpern glitzern tränenfeucht. Ihre prallen Brüste heben und senken sich. Sie ringt nach Atem. Sie bahnt sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge. Mit tränenerstickter, süßer Stimme ruft sie: Ding Gou'er! Ding Gou'er! Aber Ding Gou'er wendet sich nicht um, sieht sie nicht an, blickt starr vor sich, schreitet mit entschlossen widerhallendem Schritt voran, marschiert in die Sonne, in den strahlenden Sonnenuntergang, weiter und immer weiter, bis er eins wird mit der roten Scheibe der Abendsonne …
    Der alte Revolutionär legte seine schwielige Hand auf Ding Gou'ers Schulter. Der Ermittler, der eins mit der Sonne war, zitterte vor Kälte, als er versuchte, wieder zu Bewusstsein zu kommen. Sein Herz klopfte; die Tränen eines

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