Die Schnapsstadt
anderthalb Minuten zum Lesen brauchen, und Ihnen die restliche Zeit gönnen, damit Sie zu eigenem Nachdenken kommen. Also hören wir auf mit Sprüchen wie «Wenn der Fuchs nachdenkt, beginnt der Tiger zu lachen» oder «Du kannst nicht verhindern, dass der Himmel einstürzt oder dass deine Mutter heiratet», Mao Zedongs bekannter Kommentar, als Lin Biao seinen Fluchtversuch unternahm. Lass sie doch lachen! Wenn ein paar hundert Millionen von ihnen sich totgelacht hätten, bräuchten wir keine Geburtenbeschränkung, und meine Schwiegermutter könnte ihre immer noch gesunden Organe benutzen, um mir ein paar kleine Schwäger und Schwägerinnen zu schenken. Schluss mit dem scheißblöden Geschwätz!, ruft ihr. Also gut, Schluss mit dem scheißblöden Geschwätz! In eurer Ungeduld benehmt ihr euch so primitiv wie der Schnaps, den sie in den Steppen der Inneren Mongolei aus Hirsekleie brennen, eine sechzigprozentige Spezialität der Stadt Harbin mit überwältigender Wirkung.
Die Salangane, Collocalia fuciphoga, ein häufig mit der Schwalbe verwechselter Vogel der Familie Apodidae, wird etwa achtzehn Zentimeter groß, hat schwarze oder braune, bläulich glänzende Federn und einen weißgrauen Bauch. Ihre Flügel sind lang und spitz, die Beine kurz und rosa mit vier vorwärts gerichteten Klauen. Sie sind gesellige Insektenfresser und bauen ihre Nester in Höhlen. Das Männchen scheidet aus im Hals gelegenen Drüsen ein speichelartiges Sekret aus. Wenn dieser Speichel hart wird, bezeichnet man ihn als «Schwalbennest».
Salangane sind in Thailand, auf den Philippinen, in Indonesien, Malaysia und auf den unbewohnten Inseln vor der Küste der südostchinesischen Provinzen Guangdong und Fujian heimisch. Anfang Juni bauen sie Nester, um ihre Jungen großzuziehen. Vorher aber begatten sich das Männchen und das Weibchen nach einem lebhaften Balzritual. Danach sitzt das Männchen, ständig mit dem Kopf nickend, auf der Höhlenwand und scheidet Speichelfäden aus wie Seidenraupen im Frühling, wenn sie sich verpuppen. Die durchsichtigen klebrigen Speichelfäden bleiben an der Höhlenwand hängen und verhärten sich zum so genannten Schwalbennest. Beobachter berichten, dass das Männchen während des Nestbauprozesses, bei dem der Vogel mehr als zehntausendmal mit dem Kopf nicken muss, weder schläft noch Nahrung zu sich nimmt. Es ist ein langwieriger Prozess, der mehr Mühe erfordert, als wolle man sein Herzblut vergießen. Das erste Nest, das aus reinem Vogelspeichel besteht, enthält so gut wie keine Verunreinigungen und ist von so rein weißer, kristallklarer Farbe, dass es üblicherweise als «weißes Nest» oder «Beamtennest» bezeichnet wird. Wird das Nest entfernt, baut der Vogel ein zweites Nest, aber die nunmehr unzureichende Speichelmenge zwingt ihn, dem Speichel seine eigenen Federn beizumengen. Und da der Vogel sich aufs Äußerste anstrengen muss, um mehr Speichel zu produzieren, ist das Nest häufig durch Blut verunreinigt. Das so entstehende Produkt, das von geringerer Qualität ist, wird als «Federnest» oder «Blutnest» bezeichnet. Wird auch das zweite Nest entfernt, wird der Vogel auch noch ein drittes bauen, aber dies besitzt keinen kulinarischen Wert, da es im Wesentlichen aus Algen und nur sehr wenig Speichel besteht.
Als ich meine Schwiegermutter zum ersten Mal sah, entfernte sie mit einer silbernen Nadel die Verunreinigungen aus einem in Mineralwasser eingeweichten Nest: Blut, Federn und Seetang. Wie wir heute wissen, war es ein «Blutnest». Meine Schwiegermutter zog ein Gesicht wie ein verärgertes Schnabeltier und murmelte vor sich hin: Seht euch das bloß an! Wie kann man so etwas als Schwalbennest bezeichnen ? Das ist ein verkrumpeltes Federnest, ein Elsternnest, vielleicht ein Krähennest. Beruhige dich, sagte mein Mentor Yuan Shuangyu und trank ein Schlückchen von seinem selbst gebrannten Hausschnaps, der den edlen und eleganten Duft von Orchideen verströmte. Heutzutage ist alles verfälscht. Das haben sogar die Schwalben gelernt. Nach meiner Einschätzung werden in zehntausend Jahren, falls es überhaupt noch Menschen gibt, die Schwalben Hundescheiße für ihre Nester verwenden. Das eingeweichte Vogelnest zitterte in den Händen meiner Schwiegermutter. Sie sah ihren Gatten, meinen zukünftigen Schwiegervater, verblüfft an. Ich kann nicht verstehen, fuhr er fort, wieso etwas, das so abstoßend aussieht wie ein Klumpen Hundehirn, wertvoller sein soll als Gold. Schmeckt es wirklich so exquisit,
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