Die Schnapsstadt
ihn, und er konnte sie nicht lesen. Das Licht ging so plötzlich aus, wie es angegangen war. Er sah immer noch tanzende Flecken vor den Augen, und sein Hirn war in rote Farbe getaucht wie das leuchtende Kiefernholzfeuer im Herd der Wächterloge. Vor sich hörte er die schweren Atemzüge des alten Revolutionärs. Plötzlich erstarb das laute Trommeln des Regens, und ein erderschütternder Donnerschlag ganz in der Nähe erschreckte ihn zu Tode. Einen Augenblick dachte er darüber nach, was für eine Explosion das sein konnte. Wichtig war nur, dass von dem Moment an, in dem das Licht auf den Grabstein des Helden gefallen war, eine gewaltige Welle von Mut seinen Körper erfasste und die Eifersucht des Alkohols die Krankheit besiegte, die Übelkeit, die der Alkohol mit sich bringt, seine Schwäche besiegte und die Sorgen und Unruhe, die zum Alkohol gehören, die Liebe besiegten. All seine Schwäche und Verliebtheit wurde zu einem sauren Gestank, zu stinkender Pisse. Dann verwandelte sich sein Gemüt in klaren Wodka, so mutig und munter wie ein stolzer Hengst, der über die Steppe der Kosaken galoppiert, in rauen, wilden Cognac, so fein geschliffen, so abenteuerlustig wie ein Spanier beim Stierkampf. Er fühlte sich, als habe er einen Mund voll rote Pfefferschoten gegessen, seine Zähne in einen Bund Lauchzwiebeln geschlagen, an einer Knoblauchknolle mit purpurfarbener Haut genagt, an einem Stück altem getrocknetem Ingwer gekaut oder ein ganzes Glas schwarzen Pfeffer verschluckt: wie ein loderndes Feuer, wie die Blumen auf einem bestickten Brokattuch. Sein Geist erhob sich wie die Schwanzfedern eines Hahns, das, was die Amerikaner einen cocktail nennen. Er griff nach seiner Dienstwaffe, die der Waffenschmied mit der gleichen Liebe geschaffen hatte wie ein Schnapsbrenner den feinsten Hefebrand, und schritt so bedrohlich wie billiger Grappa voran, als könne er in wenigen Sekunden wieder in Yichis Taverne sein, die perlweiße Tür eintreten, die Pistole ziehen, auf die Lastwagenfahrerin zielen, die auf dem Schoß des Zwerges saß, und peng, peng! – würden zwei Köpfe zerschmettert. Szene für Szene lief dieser Film vor seinem inneren Auge ab, wie der weltberühmte Messerschnaps die Kehle hinunterfährt: mit vollem Körper, starkem Aroma und süßlich prickelndem Geschmack. Wie ein scharfes Messer eben, das einen verwickelten Knoten ein für alle Mal durchtrennt.
II
Yidou, mein Bruder!
Deinen jüngsten Brief und die Erzählung Kochstunde habe ich erhalten.
Was meinen Besuch in Jiuguo angeht, so habe ich bereits mit meinem Vorgesetzten über das Thema gesprochen. Da ich beim Militär bin, ist mein Vorgesetzter nicht besonders begeistert von der Idee, mich freizustellen. Außerdem bin ich gerade vom Hauptmann zum Major befördert worden. (Ich verliere dabei zwei Sterne und gewinne einen Streifen, und da ich finde, dass drei Sterne und ein einzelner Streifen viel besser aussehen würden, hält sich meine Begeisterung in Grenzen.)
Das bedeutet, dass ich mich im Hauptquartier der Kompanie einfinden und mit den Mannschaftsgraden essen und wohnen und exerzieren sollte, damit ich Erzählungen oder «Berichte» schreiben kann, in denen sich das Leben unserer Soldaten in diesem unserem neuen Zeitalter widerspiegelt. Wenn ich auf Materialsuche in die Provinz gehe, heißt das, dass ich in den Zuständigkeitsbereich der dortigen Lokalverwaltung gerate, was die Dinge selbst in Jiuguo kompliziert, einer Region, die aufgrund einiger Ereignisse der letzten Zeit recht viel Aufmerksamkeit erregt hat. Noch bin ich nicht bereit aufzugeben und werde mich weiter bemühen. Es gibt eine ganze Anzahl überzeugender Gründe, die ich mir ausdenken könnte.
Das Erste Jährliche Affenschnaps-Festival dürfte eine interessante und erfolgreiche Veranstaltung werden. Ich hoffe, dass mein ein wenig rundlicher Körper unter den angeheiterten, betrunkenen und alkoholisierten Massen auftauchen kann, wenn alle trinken und sich amüsieren und die Luft von reichem Schnapsduft gesättigt ist.
Mit meinem Roman bin ich in eine Sackgasse geraten. Dieser schlüpfrige Ermittler von der Oberstaatsanwaltschaft macht mir Schwierigkeiten, wo er nur kann. Ich weiß noch nicht, ob ich ihn umbringen soll oder ob ich ihn verrückt werden lasse. Und falls ich beschließe, ihn zu erledigen, kann ich mich nicht entscheiden, ob er sich erschießen oder im Suff verrecken soll. Immerhin habe ich im letzten Kapitel dafür gesorgt, dass er sich gründlich besäuft.
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