Die Schnapsstadt
würde Papa ja jetzt ein bisschen Gras rauchen. Schade, dass wir keins haben.» Der kleine Dämon gähnte.
«Wie essen sie uns, Papa? Essen sie uns roh?», fragte der Führer der zweiten Mannschaft.
«Sie haben unendlich viele Rezepte: gebraten, gedämpft, gedünstet, kalt aufgeschnitten, gebraten und mit Essig abgelöscht, gebacken … unendlich viele Rezepte. Aber normalerweise essen sie uns nicht roh, normalerweise nicht. Es heißt jedoch, der Stellvertretende Bürgermeister Shen habe einmal einen kleinen Jungen mit importiertem japanischem Essig mariniert und ihn roh gegessen.»
Die Kinder kuschelten sich enger aneinander. Die Ängstlichen unter ihnen weinten verstohlen.
Das feuerte den kleinen Dämon an.
«Kinder!», sagte er. «Genossen! Ebendeshalb müsst ihr alles tun, was ich sage. An diesem entscheidenden Punkt müsst ihr eure Reife beweisen und euch über Nacht in unbezwingbare Helden verwandeln. Kein Heulen mehr, kein Flennen. Wir können sie nur daran hindern, uns aufzufressen, wenn wir uns solidarisch zeigen und eine undurchdringliche Wand aus Stahl und Eisen werden. Wir müssen ein Igel werden, ein stacheliger Igel. Sie haben genug Igel gegessen, und unser Fleisch ist viel zarter als das eines Igels. Wir müssen zu einem stählernen Igel werden, einem eisernen Igel, damit wir die Lippen und Zungen dieser Menschen fressenden Ungeheuer zu Brei schlagen können. Vielleicht können sie uns fressen, aber wir werden dafür sorgen, dass sie Bauchweh kriegen.»
«Mag sein … mag sein … aber diese Lichter …», stammelte der Führer der vierten Mannschaft.
Der kleine Dämon beruhigte ihn mit einer Handbewegung. «Ich weiß, was du meinst. Du brauchst es gar nicht erst auszusprechen. Was du wissen willst, ist: Wenn sie uns auffressen wollen, warum schenken sie uns so eine schöne Umgebung? Stimmt's?»
Der Führer der vierten Mannschaft nickte.
«Also gut, ich werde es euch erklären», sagte der kleine Dämon. «Vor vierzehn Jahren, als ich noch ein Kind war, habe ich gehört, dass die Kader von Jiuguo angeblich kleine Jungen äßen. Das Gerücht war so konkret, dass es erschreckend und geheimnisvoll zugleich wirkte. Dann fing meine Mutter an, ein Baby nach dem anderen zu bekommen. Und jedes einzelne wurde gerade einmal zwei Jahre alt, bevor es verschwand. Ich konnte mir nichts anderes vorstellen, als dass meine kleinen Brüder aufgegessen wurden. Damals war ich bereit, dieses ungeheuerliche Verbrechen ans Licht zu bringen, aber eine rätselhafte Hautkrankheit hat mich daran gehindert. Ich bekam am ganzen Körper Schuppen, aus denen Eiter quoll, wenn jemand sie berührte. Den Leuten wurde schlecht, wenn sie mich nur ansahen, und niemand betrachtete mich als essbar. Das hat mich aus der Höhle des Tigers gerettet. Schließlich habe ich mich auf Diebstahl verlegt. Eines Tages bin ich in das Haus eines Funktionärs eingebrochen und habe eine Flasche Schnaps ausgetrunken. Auf dem Etikett waren Affen abgebildet. Und siehe da, die Schuppen fielen von meinem Körper. Mit jeder Schicht, die abfiel, wurde ich kleiner. Deshalb sehe ich so aus, wie ich heute aussehe. Auch wenn ich äußerlich wie ein Kind aussehe, habe ich geistige Fähigkeiten so weit wie das Meer. Das Geheimnis der Kinderfresser muss enthüllt werden, und ich bin es, der zu eurem Retter werden wird!»
Aufmerksam lauschten die Kinder den Offenbarungen des kleinen Dämons.
«Also», fuhr er fort. «Warum halten sie uns in so einem großen schönen Raum gefangen? Weil sie wollen, dass wir zufrieden sind. Wenn wir unzufrieden sind, wird unser Fleisch sauer und zäh. Kinder! Genossen! Ich sage euch, was ihr tun müsst. Schlagt alles in Scherben!»
Der kleine Dämon nahm einen Stein von dem künstlichen Hügel, zielte auf eine helle rote Wandlampe und warf. Der Stein hatte so viel Schwung, dass man den Luftzug spüren konnte, der seinem Flug folgte. Aber der Dämon hatte schlecht gezielt. Der Stein prallte von der Wand ab. Fast hätte er einem kleinen Jungen den Kopf abgerissen. Der kleine Dämon hob ihn wieder auf, zielte sorgfältig und warf noch einmal. Nochmal daneben! Diesmal fing er an zu fluchen. Er hob den Stein wieder auf, sammelte all seine Kräfte wie ein Säugling an der Mutterbrust und schleuderte ihn mit aller Kraft – fick dich doch ins Knie! – gegen die Lampe. Diesmal traf er genau ins Ziel. Die Lampe zersprang und fiel als Scherbenregen zu Boden. Der Glühfaden leuchtete einen Moment rot auf und wurde dann dunkel.
Die
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