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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Macht und Stärke einzuflößen, war völlig vergeudet gewesen. Frustriert fragte sich der kleine Dämon, wie er irgendetwas aus diesem Haufen machen sollte.
    Nur um als Autor die Geschichte nicht durcheinander zu bringen, werde ich meinen Bericht objektiv gestalten und versuchen, alle Beschreibungen dessen, was in den Köpfen des kleinen Dämons und der Kinder vorging, auszusparen. Ich werde mich auf das beschränken, was sie taten und sagten, und es dir, lieber Leser, überlassen, dir auszumalen, was die Ursachen für ihr Handeln waren und was sich hinter ihren Worten verbarg. Es ist nicht leicht, diese Geschichte zu erzählen, weil der kleine Dämon immer wieder auftaucht und versucht, sie durcheinander zu bringen. Auf alle Fälle ist er kein braver kleiner Junge. (In Wirklichkeit nähert sich meine Geschichte ihrem Ende.)
    Das Frühstück war luxuriös: Es gab Suppe mit Eierstich, gedämpfte Klöße aus feinstem Mehl, Milch, Brot, Marmelade, gesalzene Bohnensprossen und süßsaure Rettichscheiben.
    Der alte Mann, der das Frühstück servierte, nahm seine Arbeit ernst. Sorgfältig füllte er jeden einzelnen Teller, jede einzelne Schale und reichte sie dann den Kindern. Auch der kleine Dämon bekam seine Portion. Er nahm sie mit unterwürfig gesenktem Kopf an, um den alten Mann nicht zu erschrecken. Der warf ihm aus den Augenwinkeln einen misstrauischen Blick zu.
    Als der alte Mann gegangen war, blickte der kleine Dämon mit leuchtenden Augen auf und sagte:
    «Genossen! Kinder! Esst keinen Bissen davon! Sie wollen uns mästen, bevor sie uns fressen. Wir werden in den Hungerstreik treten. Kinder, je dünner ihr seid, desto später werden sie sich daranmachen, euch aufzuessen. Vielleicht lassen sie es sogar ganz bleiben.»
    Aber die Kinder schenkten seiner Aufforderung kein Gehör. Vielleicht kapierten sie ja auch nicht, wovon er sprach. Der Anblick und der Duft des Essens waren alles, woran sie denken konnten. Sie schlugen kräftig zu, stopften sich voll und machten eine Menge Lärm. Am liebsten hätte der kleine Dämon sie zusammengeschlagen, aber das verkniff er sich gerade noch rechtzeitig. Ein hoch gewachsener Mann betrat den Raum. Mit einem vorsichtigen Blick auf die Füße des Mannes griff der kleine Dämon nach einem Glas voll warme Milch und trank laut schlürfend einen kleinen Schluck.
    Er brauchte nicht aufblicken, um das verächtliche Lächeln zu spüren, das um die Lippen des Mannes spielte. Er machte sich wieder über seine Milch her, griff nach einem dampfend heißen Kloß und gab sich Mühe, sein Gesicht so schmutzig zu machen, wie er nur konnte, und so laut zu schlürfen, wie es nur ging. Mit anderen Worten: Er verwandelte sich in einen gefräßigen kleinen Idioten.
    «Kleines Ferkel», hörte er den Mann sagen.
    Die Beine des Mannes, von denen jedes so dick war wie eine steinerne Säule, bewegten sich weiter, und der kleine Dämon blickte auf und sah auf seinen Rücken. Er bemerkte, dass der Mann einen länglichen Kopf hatte und eine Mütze trug, unter der ein paar braune Haarsträhnen heraushingen. Als sich der Mann umdrehte, sah der kleine Dämon ein sonnengebräuntes Gesicht mit einer langen, fettigen, krummen Nase, die aussah wie eine zerquetschte Wasserkastanie, die jemand mit Schmalz beschmiert hat.
    «Kinder», fragte der Mann mit tückischem Lächeln, «habt ihr ein gutes Frühstück bekommen?»
    Die meisten bejahten das, nur ein paar sagten: «Nein.»
    «Liebe Kinder», sagte der Mann, «ihr dürft nicht so viel auf einmal essen, sonst bekommt ihr Bauchweh. Wollen wir jetzt ein Spiel spielen?»
    Keine Antwort. Die Kinder blinzelten verständnislos.
    Der Mann schlug sich erstaunt vor die Stirn und sagte:
    «Wie dumm von mir! Ich habe ganz vergessen, dass ihr kleine Kinder seid und noch gar nicht wissen könnt, was ein Spiel ist. Wollen wir in den Hof gehen und Falke und Hühnchen spielen? Was haltet ihr davon?»
    Mit fröhlichem Geschrei folgten die Kinder dem Mann in den Hof. Weniger begeistert folgte ihnen auch der kleine Dämon.
    Zu Beginn des Spiels suchte sich der Mann mit der Hakennase den kleinen Dämon als Mutter Henne aus – vielleicht weil er in seinen roten Kleidern so auffällig wirkte. Alle anderen Kinder mussten sich als kleine Hühnchen hinter ihm aufstellen. Der Mann sollte der Falke sein. Er wedelte mit den Armen, starrte sie an und fing mit entblößten Zähnen an zu kreischen.
    Plötzlich stieß der Falke zu. Ein bedrohliches Leuchten stand in seinen Augen. Das war ein

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