Die Schnapsstadt
so winzig klein, so zerbrechlich, dass sie alle ihre Kräfte braucht, um das Tablett zu tragen. In unseren Herzen erweckt sie zärtliche Gefühle. Inzwischen ist der kleine Dämon verschwunden: Seine Pflichten sind zunächst einmal erfüllt. Jetzt muss er wieder hinausgehen, um die nächsten Gäste zu begrüßen. Vielleicht ist das ja alles ganz normal, aber ich kann den Verdacht nicht unterdrücken, dass sich hinter seinem Verschwinden ein finsterer, teuflischer Plan verbirgt.
Liebe Freunde, damit wir unser Sonderangebot mit zwanzig Prozent Rabatt genießen können, sollten Sie erst einmal hier sitzen bleiben, während ich meinen alten Freund Yu Yichi aufsuche. Bitte rauchen Sie so lange eine Zigarette oder trinken Sie Tee oder lauschen Sie der Musik oder sehen Sie aus den makellos klaren Fenstern auf den künstlerisch gestalteten Hinterhof.
Lieber Leser, liebe Freunde, ursprünglich wollte ich gemeinsam mit Ihnen an diesem reichhaltigen Festmahl teilnehmen, aber die Taverne ist zu klein für so viele Gäste, und Sie sind schon zu neunt in der Traubenhalle. Tut mir Leid! Totale Ehrlichkeit ist von absolut essenzieller Bedeutung, wenn ich den Eindruck vermeiden will, ich hätte irgendwelche verborgenen Absichten. Ich kenne mich in dieser Taverne so gut aus wie ein Wagen auf vertrauter Straße, und Yu Yichi ist nicht schwer zu finden. Aber als ich die Tür zu seinem Büro öffne, weiß ich, dass dies der falsche Moment ist. Mein alter Freund Yu Yichi steht auf seinem Schreibtisch und küsst eine große, üppige junge Frau.
«Hoppla! », sage ich verlegen. «Ich bitte um Entschuldigung. Meine schlechten Manieren! Ich hätte wohl anklopfen sollen.»
Yu Yichi springt so flink und wendig wie eine Wildkatze vom Schreibtisch. Als er sieht, wie peinlich mir die Situation ist, verzieht sich sein komisches kleines Gesicht zu einem Lächeln.
«Herr Doktorand der Alkoholkunde», sagte er mit seinem hohen Piepsstimmchen. «Ich hätte mir denken können, dass du es bist. Wie kommst du mit deinen Forschungen zum Affenschnaps voran? Du wirst doch das Affenschnaps-Festival nicht verpassen wollen? Dein Schwiegervater ist ein Narr, wenn er glaubt, er müsse auf den Berg des Weißen Affen steigen und sich bei den Affen herumtreiben …»
Er redet und redet, bis ich es nicht mehr hören kann. Aber da ich ihn um einen Gefallen bitten will, muss ich ihm geduldig zuhören und so tun, als beeindrucke mich sein Geschwätz.
Als er endlich eine Pause macht, werfe ich ein: «Ich habe ein paar Freunde zu einem Eselsmahl mitgebracht …»
Yu Yichi steht auf und geht zu der Frau hinüber. Sein Kopf reicht ihr kaum bis zum Knie. Sie ist eine echte Schönheit und anscheinend nicht gerade eine unschuldige Jungfrau. Wahrscheinlich ist sie verheiratet. Auf ihren vollen Lippen liegt eine dünne Schicht einer klebrigen Masse, als habe sie gerade Schnecken gegessen. Er streckt den Arm aus und gibt ihr einen Klaps auf den kräftigen Hintern.
«Geh nur, Schätzchen», sagt er, «und sag dem alten Shen, er soll sich keine Sorgen machen. Yu Yichi steht zu seinem Wort. Wenn er sagt, er tut etwas, dann tut er es auch. Darauf kannst du dich verlassen.»
Die Frau gehört offenbar nicht zu denen, die sich in einer derartigen Situation verunsichert fühlen. Sie bückt sich so tief herunter, dass ihr die ein wenig hängenden Brüste fast aus dem Kleid springen und Yu Yichi voll ins Gesicht fallen. Er verzieht das Gesicht, und sie hebt ihn vorsichtig auf. Wenn man nur nach der Größe und dem Gewicht geht, könnte man sie für eine Mutter halten, die ihren Sohn hochhebt. Aber natürlich stehen sie in einer viel komplizierteren Beziehung zueinander. Sie küsst ihn kräftig auf die Lippen und wirft ihn dann wie einen Ball auf ein Sofa an der Wand. Sie hebt die Hand und sagt mit verführerischer Stimme: «Bis später, alter Junge.»
Yu Yichis Körper hüpft noch federnd auf dem Sofa auf und ab, als die Frau schon mit wackelndem hellrotem Hintern um die Ecke verschwindet. Er ruft hinter ihrem lieblichen Rücken her: «Hau bloß ab, du lüsterner Fuchsgeist!»
Jetzt sind Yu Yichi und ich allein im Zimmer. Er springt vom Sofa und stellt sich vor einem großen Wandspiegel auf, um sich die Haare zu kämmen und den Schlips gerade zu ziehen. Er fährt sich mit seinen kleinen Klauen über die Wangen und dreht sich dann zu mir um. Er sieht wie eine wohl gepflegte und wichtige Persönlichkeit aus. Hätte ich nicht gesehen, was gerade erst geschehen ist, würde ich es
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