Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
Halbschwester«, bestätigte Sebastian. »Ich wusste es nicht. Mein Vater schreibt weiter in seinem Brief: Während ihrer Ehe blieb Ludmila heimlich in Kontakt mit mir. Sie arbeitete im Archiv der Auslandsaufklärung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde sie arbeitslos, trennte sich von ihrem Mann und zog zu mir nach Deutschland.Vera blieb zum Studieren in Moskau und begann ihre Laufbahn als Journalistin. Ludmila war an meinen Geschäften beteiligt, die allerdings immer schwieriger wurden. Um mit unseren Schulden fertigzuwerden, trafen wir verzweifelte Entscheidungen, und ich wurde am Ende wegen Konkursbetrugs verurteilt. Ludmila ist der einzige Mensch, der alles über mich weiß. Auch von dir weiß sie. Einige der alten Geschichten hat sie Vera erzählt. Unter anderem hat sie ihr gesagt, wie der KGB in den Achtzigerjahren an Informationen aus der näheren Umgebung des finnischen Präsidenten kam.«
Elina stutzte. »Entschuldige, wenn ich unterbreche, aber Ludmila lebt also immer noch und wohnt in Deutschland?«
Sebastian hörte den Enthusiasmus in Elinas Stimme. »Ja. Aber ich weiß nicht, ob Ludmila mit fremden Leuten redet, falls du an so etwas denkst. Ich lese den Brief zu Ende …«
Er richtete den Blick auf das Blatt, das er auf dem Lenkrad abstützte: »Von dir, mein lieber Sebastian, hat Ludmila unserer Tochter nur so viel erzählt, dass es dich gibt. Nicht einmal deinen Namen hat sie genannt. Und Vera hat nicht weiter gefragt, denn sie wusste, dass sie keine Antwort bekommt. Allerdings hat sie mithilfe der wenigen Fakten, die sie besaß, auf eigene Faust deinen Namen herausgefunden …«
Sebastian holte Luft und las leise weiter: »Es tut mir unglaublich leid, dass mein Leben auf einer Lüge beruht hat. Ich wünschte aus vollem Herzen, alles hätte sich anders entwickelt. Ich will, dass du glücklich bist. Gib dem Bösen keinen Platz in deinem Leben. Hör auf, dich mit Stasi-Angelegenheiten zu befassen, sie sind es nicht wert, sein Leben dafür zu opfern. Wenn das jemand beurteilen kann, dann ich. Leb wohl … Dein Vater Claus.«
Damit war der Brief zu Ende. Elina und Sebastian schwiegen.
»Vermutlich glaubst du, ich hätte von Vera gewusst«, sagte Sebastian schließlich. »Aber so war es nicht. Als ich im BstU-Archivnach Informationen über meinen Vater suchte, war ich von allem, was ich fand, extrem schockiert. Vera, eine Russin, die ich damals nicht kannte, sprach mich an, und ich muss ihr gegenüber ziemlich abweisend gewesen sein. Dann stellte sie sich als Journalistin vor, und bald begriff ich, dass sie eine erfahrene investigative Journalistin war. Wir trafen uns wieder, und schließlich bat ich sie um Hilfe bei der Untersuchung der Hinweise meines Vaters, die sich auf Russland bezogen. Aber erst jetzt erfahre ich aus diesem Brief, dass ich Vera nicht zufällig begegnet bin. Sie hat gezielt nach mir gesucht. Dann bin ich im BstU dir begegnet. Und das war Liebe auf den ersten Blick, ob du das nun glaubst oder nicht.«
Elina seufzte tief. »Ich weiß nicht, was ich denken soll.«
Ihre Reaktion ließ sofort neue Hoffnung in Sebastian aufleben.
»Wo bist du?«
In dem Moment sah er zwei Männer aus dem Hotel kommen und auf den Parkplatz zugehen. Einer von ihnen trug einen schwarzen Aktenkoffer und hatte einen Schnurrbart. Sebastian erkannte ihn.
Peter Richter. Der Ingenieuroberst der Stasi.
»Ich muss jetzt aufhören, ich rufe dich später wieder an«, sagte Sebastian schnell und beendete das Gespräch.
Richter und der andere Mann stiegen in einen Renault, der gleich darauf rückwärts aus der Parkbucht stieß. Sebastian ließ den Motor an. Er gab dem anderen Wagen etwas Vorsprung, dann fuhr er ihm hinterher.
62
Riku eilte die Treppe des Parlamentsgebäudes hinauf und an den massiven Säulen vorbei zum Eingang. Seine Kleider waren noch immer unangenehm feucht, aber die schlimmste Nässe war vom Autositz aufgesogen worden und in der Nachmittagshitze verdunstet. Inzwischen war Wind aufgekommen, dunkle Wolken stauten sich am Himmel, ein Gewitter rückte grummelnd immer näher.
Riku hatte die Nummer von Feliks Grischanows Büro angerufen, die ihm Elina gegeben hatte, aber der Mann war im Urlaub, wie Elina ja gesagt hatte. Auch die Abgeordnete Laaksonen hatte sich nicht selbst am Telefon gemeldet. Ihre Referentin hatte erklärt, Kirsti Laaksonen sei im Parlament.
Der Pförtner im kurzärmeligen weißen Hemd sah Riku misstrauisch durch die Scheibe an, als der auf ihn zutrat. Riku zeigte
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