Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
stand jedoch auf, nahm ihre Tasche und ging zur Tür. Riku folgte ihr.
In dem hohen Foyer fuhr Laaksonen zornig herum. »Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?«
»Riku Tanner, KRP.« Er zeigte seine Dienstmarke und sah, wie Laaksonens Blick schärfer wurde.
»In der russischen Botschaft arbeitete in den Achtzigerjahren ein KGB-Mann namens Andrej Nowikow. Vor einigen Tagen hat er die Journalistin Vera Dobrina ermordet. Ich suche jetzt seinen ehemaligen Kollegen Viktor Kovalenko, der inzwischen den falschen Namen Feliks Grischanow benutzt, eventuell auch noch weitere. Die Lage ist ernst, und außerdem ist es dringend, denn wir haben es zusätzlich mit einer Geiselnahme zu tun, von der die Öffentlichkeit noch nicht unterrichtet werden konnte. Wir müssen Kontakt zu Kovalenko bekommen und ihn finden.«
»Da kann ich Ihnen leider nicht helfen«, antwortete Laaksonen und wandte sich erneut ab.
Mehr instinktiv als überlegt griff Riku nach dem Ellenbogen der Frau. Sogleich ließ er wieder los und sagte: »Mein sechsjähriger Junge ist entführt worden. Es geht buchstäblich um Leben und Tod. Das Ganze ist absolut vertraulich, auch all das, was Sie mir erzählen. Ich spreche jetzt als Vater, der versucht, das Leben seines Sohnes zu retten.«
Riku sah der Frau in die Augen – in Augen, die schon viel gesehen hatten und in denen ein äußerst selbstsicherer Blick lag.
»Das tut mir leid für Ihren Sohn, aber wie gesagt, ich kann Ihnen leider nicht helfen. Ich muss gehen.«
Von machtloser Wut ergriffen stand Riku da und sah zu, wie die Frau mit anderen Abgeordneten, die aus der Cafeteria strömten, hinter dem langen, dunkelgrünen Samtvorhang im Plenarsaal verschwand. Mit ihr schienen nun auch die letzten Reste Hoffnung dahin zu sein. Diese Frau würde wegen eines kleinen Jungen nicht ihre Haut riskieren.
Unentschlossen ging Riku die Treppe hinunter.
Was sollte er jetzt tun? Seine erste Begegnung mit den Entführern durfte nicht erst am Treffpunkt für die Übergabe stattfinden, dann wäre es zu spät.
Außerdem war es nur eine Frage der Zeit, bis seine Kollegen ihn finden und festnehmen würden. Riku hatte sich längst überlegt, was er dann sagen und tun würde. Wegen Leo hätten alle Verständnis für seine Lage, jeder seiner Kollegen würde ihm eine Stunde Aufschub geben, eine Chance, seinen Sohn zu retten.
Aber worauf würde er diese Zeit verwenden?
Mitten auf der Marmortreppe blieb er stehen und überblickte das große Foyer des Parlamentsgebäudes, wo zwei irritiert wirkende Wachmänner nebeneinanderstanden und ihn ansahen.
Plötzlich schienen auch Rikus letzte Kräfte zu schwinden. Sein Blick blieb auf dem schwarzen Kreis haften, der auf den gelblichen Fußboden gemalt war und von dem Strahlen in alle Himmelsrichtungen führten. Er suchte Halt an einem Marmorpfeiler. Jetzt fühlte er sich gnadenlos erschöpft.
Irgendwo ertönte ein gedämpfter Ton. Immer wieder.
Riku kam erst wieder zu sich, als er begriff, dass sein Handy in der Tasche klingelte.
Die Anruferin war Elina.
»Bist du okay?«, fragte ihre besorgte Stimme.
»Sag schnell! Ich kann mich im Moment nur auf Leo konzentrieren.«
»Das verstehe ich, aber hör dir das an: Sebastians Vater hateinen Brief hinterlassen, in dem er prophezeit, ermordet zu werden, und zwar von ehemaligen KGB -Agenten. Er sagt außerdem, er hätte in den Achtzigerjahren ein Verhältnis mit einer finnischen Politikerin gehabt, und aus der Beziehung hätte er einen Sohn. Die Frau ist Kirsti Laaksonen, die sowohl der Stasi wie auch dem KGB bedeutsames vertrauliches Material geliefert hat.«
Riku stand einen Moment regungslos da und ließ die Sätze in sein Bewusstsein dringen. Die Hoffnung kehrte zurück, und mit ihr neue Energie, die ihn wieder handlungsfähig machte.
»Wo bist du?«
»Im Parlament. Wir reden später weiter«, sagte er, beendete das Gespräch und ging die Marmortreppe wieder hinauf. Plötzlich schien sein Herz mit neuer Kraft zu schlagen. Entschlossen marschierte er in den Staatssaal und ging auf den grünen Vorhang und die verglaste Eingangstür zum Plenarsaal dahinter zu. Der Wachmann dort hob die Hand: »Hier haben nur Abgeordnete Zugang.«
Riku zeigte seine Dienstmarke. Der Mann sah ihn fragend und abwartend an, aber Riku ging wortlos an ihm vorbei.
»He, wir haben gerade eine Live-Übertragung«, rief ihm der Wachmann hinterher.
Riku betrat den Kuppelsaal, wo die Stimmung von den Ereignissen in Olkiluoto beherrscht wurde. Im vorderen
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