Die schöne Betrügerin
die Lider. »James Cunnington würde Sie niemals heiraten, nicht solange ich durch seine Träume geistere.«
Phillipa lachte. »In seinen Träumen? Wohl eher Albträumen.«
»Was wissen Sie schon von Träumen? Sie sind eine Possenreißerin, die Informationen ergattern will. Hat Sie eines von diesen grässlichen Nachrichtenblättern geschickt?«
»Ich kenne seine Träume. Ich weiß alles über ihn. Er ist meine große Liebe.«
»Das ist er nicht!«
»Wollen Sie Beweise? Ich kann Ihnen alles sagen. Er trinkt Brandy. Er liebt es, zum Boxen zu gehen. Er ist ein exzellenter Tänzer, ein überragender Athlet, und er weiß Stehvermögen zu schätzen.«
»Das könnte ja wohl jeder wissen oder erraten.«
»Also, wie wäre es dann mit seinem Faible für Haremsdamen?«
Lavinia zuckte zusammen. »Davon wüsste ich.«
»Das müsste er eigentlich erwähnt haben. Aber er hat Sie nie wirklich
geliebt
-«
»Das hat er sehr wohl – und tut es noch immer, Sie Närrin! Sehen Sie mich an! Wie könnte er nicht?«
»Vielleicht hat er die Oberfläche begehrt… früher einmal. Aber sicher hat man Ihnen längst schon gesagt, dass Ihr Herz kohlrabenschwarz ist? Und das findet James höchst unattraktiv.«
Zorn verzerrte Lavinias Gesicht. Sie streckte ihren eleganten Arm aus und griff sich etwas Hübsches – und zweifelsohne Unbezahlbares – von einem Beistelltisch, als wolle sie es wütend quer durchs Zimmer nach Phillipa werfen.
Phillipa trat ein Stück zu Seite – ducken kam ab jetzt nicht mehr in Frage – und stichelte weiter: »Bitte, nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen. Sobald James und ich verheiratet sind, kommen wir Sie bestimmt öfter besuchen.«
»Lügnerin!« Lavinias Stimme war harsch, und ihre Gesichtszüge wirkten verzerrt. »Es gibt in James’ Leben keine andere Frau außer mir! Das weiß ich!«
»Dennoch bin ich hier, bin seinem Adoptivsohn längst eine Mutter geworden, bin Freundin und Vertraute seiner Schwester -«
Lavinias Zorn erreichte neue Ausmaße. »Agatha!«
»Ach, Sie kennen Agatha?« Phillipa lief im Kreis herum, um eventuellen Wurfgeschossen zu entgehen. »Sie ist ja eine so gute Freundin! Ich fühle mich schon wie ein Mitglied der Familie. Wenn ich James heirate -«
»Nein! Sie lügen! Dieser verdammte Dieb hätte es mir erzählt, wenn James -« Die Tirade brach abrupt ab. Aus der Besorgnis zu schließen, die einen Moment über Lavinias Gesicht huschte, hatte die Frau etwas verlauten lassen, das sie nicht hätte sagen wollen.
»Welcher Dieb? Wer ist er, Lavinia? Wer könnte intime Details aus James’ Leben kennen?«
Lavinia versuchte sichtlich, sich zusammenzunehmen. »Ich… ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Nun, wer auch immer dieser Informant ist, er hat Sie belogen. Ich kenne James jetzt schon eine ganze Weile… und zwar sehr gut.«
Lavinia fauchte etwas, aber Phillipa konnte sehen, dass die Frau auf der Hut war. Sie würde heute nichts mehr aus ihr herausbekommen. Ohne ein höfliches Wort drehte Phillipa sich um und ging.
Wenn sie nur sicher sein könnte, dass sie nicht alles noch schlimmer gemacht hatte.
Obwohl es schon spät am Abend war, saß James an Robbies Bett und las ihm vor. Der Roman war eines seiner Lieblingsbücher, »Robinson Crusoe«. Daniel Defoe mochte nicht jedermanns Sache sein, aber es gab kaum einen Liar, der sein Werk nicht zu schätzen wusste.
Schließlich hatte der einfallsreiche Gründer des Liars’ Club die Abenteuerlust des Menschen wie kein anderer verstanden. Als Spion der Krone war er zu König Williams Zeiten der Erste gewesen, der die Fähigkeiten von Taschendieben und Straßenräubern zum Schutze der nationalen Sicherheit einsetzte.
Doch Defoes Worte, die er normalerweise geradezu verschlang, standen ihm heute Abend wie bloße Druckerschwärze vor Augen. Wie die Schwärze, die sich nach dem Desaster mit Lavinias Liebhaber auf ihn gelegt hatte.
Den Abend mit Robbie zu verbringen hatte ihm geholfen. Wegen Kopfschmerzen seiner üblichen Energie beraubt, war Robbie ein guter Zuhörer für die Geschichten, die James aus seiner Kindheit kannte. Unangenehm war es nur geworden, als Robbie James nach dessen Vater gefragt hatte.
»Wenn du krank warst, ist dein Papa dann auch bei dir gesessen?«
James hätte fast aufgelacht. »Weit gefehlt, fürchte ich. Die Dienstboten haben sich um mich gekümmert, und als sie größer war, Aggie.« Er starrte ins Kerzenlicht und ließ seine Erinnerungen Revue passieren. »Ich glaube, mein Vater hat mich
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