Die schöne Betrügerin
auch ein kurzer Brief dabei gelegen.
Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, Mr. Cunnington einige Kleidungsstücke für Sie in Rechnung zu stellen. Falls jemand Sie danach fragen sollte, sagen Sie einfach, es sei auf Myladys Anweisung hin erfolgt (was auch der Fall wäre, wenn sie von Ihrer Lage wüsste! )
Doch die alte Weste, die einst Bessies Gatten gehört hatte, würde es die eine Stunde schon noch tun. Sie fummelte an der Halsbinde herum und fluchte die ganze Zeit in mehreren Sprachen. Sie zog die Stiefel über die nackten Füße. Vergiss den Gehrock, Hemdsärmel sind schon in Ordnung! Etwas aufgelöst und mit wirrem Haar, das jetzt, wo sie es völlig trocken gerubbelt hatte, allen Frisierbemühungen widerstand, rannte sie den langen Flur entlang und die Treppe hinunter.
»Geschafft«, murmelte sie, als sie um Atem ringend vor der Tür des Arbeitszimmers stand. Sie klopfte. Eine tiefe Stimme nuschelte nur ein einziges Wort: »Herein.«
Sie holte tief Luft und trat ein. Ihr wurde erstmals bewusst, dass vielleicht etwas von Bedeutung geschehen war. Schlagartig nicht mehr verstimmt, sondern vielmehr alarmiert, betrat sie das abgedunkelte Zimmer. Im Kamin knisterte ein Feuer, das einzige Licht im Raum. Doch wo war Mr. Cunnington? Dann sah sie die gestiefelten Beine, die sich aus dem hochlehnigen Sessel in Richtung Feuer streckten.
»Sie wollten mich sprechen, Sir?«
Ein ersticktes Grunzen drang aus dem Sessel. »Sir Flip? Nicht dass ich wüsste. Warum?«
Denny. Er hatte gewusst, dass sie unbedingt in aller Ruhe hatte ein Bad nehmen wollen. Phillipa knirschte mit den Zähnen. Welch kleinkariertes Manöver, nur weil sie in das kleine Reich dieses Kerls eingedrungen war. »Denny, wir beide sollten uns wohl ein wenig unterhalten«, murmelte sie.
»Und warum, Flip?« Mr. Cunningtons Stimme hörte sich etwas undeutlich an.
Phillipa trat vor. Er lümmelte tief in seinem Sessel, einen Kognakschwenker in der Hand. Phillipa bemerkte die beinahe leere Karaffe neben seinem Ellenbogen. Du meine Güte, war Mr. Cunnington betrunken?
»Ich denke, Denny ist wohl ein Fehler unterlaufen, Sir.«
»Ah ja. Sie können gehen.«
Phillipa nickte und schickte sich an zu gehen. »Fehlt Ihnen etwas, Sir?«, fragte sie noch.
Er ließ seinen Kopf an die Lehne rollen und schaute wieder ins Feuer. »Nur meine Ehre, die auf dem Teppich aus blutet. Sonst fehlt mir überhaupt nichts.«
Seine Stimme klang hohl, des Lebens und der Wärme beraubt. Phillipa spürte die düstere Traurigkeit, die ihn umgab, wie die Kälte den Eisklumpen.
Seit ihrem ersten Zusammentreffen im Park war sie sich der körperlichen Anziehung, die er auf sie ausübte, deutlich bewusst. Jetzt begriff sie zum ersten Mal, dass sie ihn tatsächlich auch mochte. Er war amüsant und großherzig und offenkundig intelligent.
Gleichzeitig schien hinter seiner starken Persönlichkeit eine Art verwundete Verletzlichkeit zu lauern. Nur manchmal hatte sie in seinen offenen braunen Augen einen gequälten Schatten erheischt, ein kurzes Flackern, das schnell wieder seiner resoluten guten Laune wich. Da war ein Schmerz in ihm. Sie wusste, dass seine Eltern gestorben waren und er hier in der Stadt zu keiner Lady eine Liebesbeziehung unterhielt. Doch er schien seine Schwester sehr zu lieben und unter den Männern, die seinen Club frequentierten, wahre Freunde zu haben. Einsamkeit war es also nicht. Zumindest war sie nicht der Hauptgrund für seine Melancholie. Nein, hinter der warmherzigen, lockeren Fassade lauerte etwas anderes. Etwas, das ihn ständig rastlos sein ließ, das ihm seine Tage und einen Großteil seiner Nächte raubte, das ihn daran hinderte, auf Robbie zuzugehen. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte sich gefragt, ob er vor etwas davonlief – so wie sie selbst vor Napoleon. Sie hatte das Gefühl, er wagte nicht, lange stillzuhalten, weil es womöglich nicht sicher war.
»Nun… dann überlasse ich Sie besser… Ihrem Abend, Sir. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Flip.« Seine Stimme hatte fast etwas Sehnsüchtiges. Der Hauch von Verlassenheit in seiner Stimme ließ sie innehalten. Sie musste etwas tun. Er brauchte etwas… aber was?
»Sir, wenn ich vielleicht -«
»Was denn, Flip?«
»Wenn ich fragen dürfte, was Sie damit gemeint haben, dass ›Ihre Ehre ausblute‹?«
»Es ist jemand gestorben.«
»Aha.« Sie ging wieder einen Schritt auf ihn zu. »Menschen sterben, ich weiß.«
Er öffnete einen Spalt die Augen. »Sollte das jetzt tief schürfend
Weitere Kostenlose Bücher