Die Schöne des Herrn (German Edition)
verdankte, mitansehen zu müssen, wie über seinen Kopf hinweg, ohne sein Wissen und sogar ohne vorherige Beratung, durch die er zumindest sein Gesicht hätte wahren können, einer seiner Untergebenen auf direkte Anweisung hin befördert worden war.
»Wie geht es, Deume?«
Adrien erwiderte, »ganz gut«, und setzte sich etwas bequemer hin, denn diese Begrüßung ließ nichts Schlimmes erwarten, während die Tür sich öffnete und eine Serviererin einen Rollwagen hereinschob. Van Vries bot ihm eine Tasse Tee an, und er dankte. Diese Aufmerksamkeit seines Chefs tröstete ihn jedoch nicht über die Trauer hinweg, die ihn beim Anblick der nur den Abteilungsleitern zugebilligten Teekanne überkam, während die Mitglieder der Abteilung nur Anspruch auf eine Tasse hatten. Er beschloss, noch heute mit Castro und einigen anderen A-Beamten darüber zu sprechen. Ja, eine gemeinsame Mitteilung der A’s an den Materialdienst, damit diesem Skandal endlich ein Ende bereitet würde und man ebenfalls das Privileg der Teekanne erhielte, notfalls auch etwas weniger hübsch als die der Direktoren, in Gottes Namen, aber eben eine Teekanne, zum Donnerwetter! Und außerdem würde eine solche Mitteilung ihm die Gelegenheit bieten, mit A-Beamten in Kontakt zu kommen, die er noch nicht kannte und die er nach Hause einladen könnte.
Die Serviererin kam mit einer zweiten Tasse zurück, goss den Tee ein und verschwand. In diesem Augenblick ließ van Vries eine für ihn sehr ungewöhnliche humoristische Bemerkung über sie fallen, die sein Untergebener mit einem wahrhaft gigantischen Gelächter würdigte. (Adrien Deumes Gelächter war oft gigantisch, aber je nach Gesprächspartner aus verschiedenen Gründen. Einem Vorgesetzten gegenüber diente das unbezähmbare und nicht aufzuhaltende Gelächter als Beweis, wie sehr der Geistesblitz goutiert worden war. Einem Gleichgestellten gegenüber diente das schallende Gelächter dem Zweck, seinen Ruf als guter, herzlicher und aufrichtiger Kumpel aller zu festigen. Frauen, und besonders der seinen gegenüber, war das explosive und ausgelassene Gelächter dazu bestimmt, ihn männlich und als wahren Naturburschen erscheinen zu lassen.) Nachdem van Vries durch seinen Scherz eine herzliche Atmosphäre geschaffen hatte, denn einen Protegé muss man stets rücksichtsvoll behandeln, ließ er seinen Sessel nach hinten kippen, stützte sich mit den Füßen gegen den Tisch und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf, um sich die Pose des entspannten Chefs zu geben, eine Pose, die seine Untergebenen unter sich »die orientalische Tänzerin« nannten.
»Ich habe beschlossen, Sie auf Dienstreise zu schicken«, begann er in herablassendem Ton, der ihn von der Wichtigkeit seiner Existenz überzeugte. (Er dachte kurz nach. Sollte er das Gespräch mit dem Untergeneralsekretär erwähnen? Lieber nicht. Wenn dieser kleine Deume erfuhr, dass die Initiative von oben kam, würde er sich wer weiß wie wichtig fühlen und sich weniger leicht führen lassen. Außerdem musste er das Ansehen des Chefs wahren, der seine eigenen Entschlüsse fasste. Aus Vorsicht jedoch, denn letztlich kommt alles einmal ans Licht, fügte er ein Körnchen Wahrheit hinzu:) Ich habe mit der hohen Direktion darüber gesprochen. (Kleine Pause, um diese beiden Worte, die ihn entzückten, auszukosten.) Die hohe Direktion ist einverstanden. Ich schicke Sie also nach Paris und London. Und eigentlich könnten Sie sogar nach Brüssel fahren, auch wenn die belgischen Mandate nicht zu Ihrem Ressort gehören. Aber Ihre Staatsangehörigkeit wird Ihnen die Kontakte erleichtern. Danach fahren Sie zu einem ausführlichen Studienaufenthalt nach Syrien und Palästina, unsere beiden heikelsten Mandatsgebiete. Die Mission sollte nicht länger als zwölf Wochen dauern, und falls etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommen sollte, können Sie immer noch auf dem Dienstweg eine Verlängerung beantragen. Offiziell wird Ihre Rolle darin bestehen, sowohl bei den zuständigen Ministerien der drei Hauptstädte als auch bei den Hochkommissaren in Syrien und Palästina alle für unsere Abteilung nützlichen Unterlagen zu beschaffen, und gleichzeitig werden Sie sich natürlich bemühen, und das ist der inoffizielle, aber nicht minder wichtige Teil Ihrer Mission, mit den leitenden Persönlichkeiten der Ministerien und den Hochkommissaren persönliche und herzliche Beziehungen vertrauensvoller Zusammenarbeit anzuknüpfen. Sie werden unter anderem mit dem gebührenden Takt darauf
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