Die Schöne des Herrn (German Edition)
sich, ob sie daran gedacht hatte, das Gas abzustellen. Das Dumme war, dass sie jetzt ganz allein in der Villa sein würde, nur mit einer Putzfrau am Vormittag, da Mariette ihren Dienst erst in etwa einem Monat wieder aufnehmen würde, und es war ja nicht nur das Gas, da waren die Riegel an der Eingangstür, die sie abends vor dem Schlafengehen bestimmt vergessen würde vorzuschieben, und auch die morgendlichen Vitamintabletten, an die sie bestimmt nicht denken würde, ach, was für Sorgen. Wange an Wange, sie und er, geheim, langsam sich drehend. O sie, murmelte er, sie, all ihre Reize, die Bergsteigerin des Himalaya mit der Schottenmütze, Königin der Porzellantiere, o ihr schwachsinniges Lächeln, wenn sie allein war, o ihr Auf- und Abgehen in ihrem Zimmer, mit nach innen gekehrten Fußspitzen, um sich zu demütigen, wie er an ihren Albernheiten sich erfreuend, himmlische Grimassenschneiderin und Clownin ihrer selbst, Träumerin in ihrem Bad, Freundin des Käuzchens und Beschützerin der Kröte, sie, seine verrückte Schwester. Die Wange an der Schulter ihres Herrn, bat sie ihn, es ihr noch einmal zu sagen, die Augen geschlossen, überglücklich, gekannt, besser als von sich selbst gekannt, verspottet und gepriesen zu werden von diesem Bruder der Seele, dem einzigen auf der Welt, der sie kannte, und das war die wunderbare Liebe, die Liebe eines Mannes, und Warwara war nichts dagegen, nichts mehr, vergangene Armseligkeiten. Sie warf den Kopf zurück und bemerkte, dass er blaugrüne Augen, gesprenkelt mit goldenen Punkten, hatte, so leuchtend in dem braungebrannten Gesicht, Augen des Meeres und der Sonne, und sie drückte sich an ihn, dankbar für diese Augen. Auf offizieller Dienstreise, Donnerwetter, mit den entsprechenden Spesen, Donnerwetter, einschließlich einer Klimazulage, Donnerwetter, und nachher das Hotel George V, Donnerwetter, die Stellung eines Diplomaten, Donnerwetter. Sie gleich nach der Ankunft in Paris anrufen und sie noch einmal an das Gas, die Riegel, die Fensterläden, die Vitamine und so weiter erinnern. Nein, nicht gleich nach der Ankunft, er würde sie vielleicht aufwecken. Besser erst um elf, und dann noch einmal brieflich alles bestätigen. Auf einem eigenen Blatt eine Liste aller Dinge, die sie nicht vergessen sollte, mit Nummern und Unterstreichungen in Rot, eine Liste, die sie in ihrem Zimmer aufhängen konnte. Oder ihr raten, bis zur Rückkehr Mariettes in ein tolles Hotel zu ziehen, das Ritz zum Beispiel, zwar teuer, aber das war ihm egal, so ist sie nicht allein in der Villa und kann nicht vergessen, die Riegel vorzuschieben. Nein, nicht das Ritz, dort könnte sie dem Boss begegnen, und da sie ihn nicht mochte, wäre sie imstande, ihn nicht zu grüßen. Liebesgeflüster auch bei diesem Tanz. Ja, alle Abende ihres Lebens, stimmte sie zu, und sie lächelte angesichts der wundervollen Aussicht, sich jeden Abend für ihn schön zu machen, zu singen und sich für ihn schön zu machen, o Wunder, ihn jeden Abend auf der Schwelle und unter den Rosen zu erwarten, in ihrem herrlichen neuen Kleid ihn zu erwarten und ihm jeden Abend, wenn er käme, die Hand zu küssen, ihm, dem so großen weißgekleideten Mann. »Schöne«, sagte er zu ihr, »gefährlich Schöne«, sagte er zu ihr, »sonnenumkränzt und mit verschleiertem Blick«, sagte er zu ihr, drückte sie an sich, und sie schloss die Augen, lächerlich, voller Anmut, bezaubert, dass sie gefährlich war, berauscht, dass sie sonnenumkränzt war. Ich kann einfach nicht einschlafen, das ist das Gratin, ich habe zu viel davon gegessen. Anruf um elf, nicht vorher, nicht riskieren, sie zu wecken. Guten Morgen, Liebling, hast du gut geschlafen? Sehr gelungener Abend, weißt du. Zuerst das Diner, Kaviar und so weiter. Nun ja, wenn du willst, erzähle ich’s dir genau. Also Kaviar, Langustengratin Edouard VII, Wachtel-Confit, Rehkeule nach Jägerinnenart, gefüllte Crêpes à la Ritz, tja, und alles vom Allerfeinsten. Voller Hingabe und in den Armen eines im Kreis sich drehenden Wunders, fragte sie ihn, wann er abends kommen werde. »Um neun«, sagte er, vorgebeugt, um ihren Duft einzuatmen, und sie hieß es gut und wusste nicht, dass sie bereits starb. Um neun, wunderbar. Um neun würde er da sein, jeden Abend ihres Lebens. Also ein langes Bad um acht und dann schnell anziehen. O bezaubernde Aufgabe, sich für ihn schön, für ihn elegant zu machen. Wie, wie war es nur möglich, vorhin noch, als sie gekommen war, dieses schreckliche Wort, das sie zu
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