Die Schöne des Herrn (German Edition)
haben. »Weiter«, bat er. »Reisen, wir beide«, sagte sie und legte den Kopf auf die Schulter ihres sich langsam drehenden Kavaliers. »Wohin?«, fragte er. »Weit weg«, seufzte sie. »Dorthin, wo ich geboren bin, haben Sie Lust?« Wo er geboren ist, dachte sie und lächelte einer glücklichen Vision zu. Wie schön, dass Sie geboren sind. »Und wann reisen wir beide?«, fragte sie. »Heute morgen«, sagte er, »ein Flugzeug nur für uns beide, und heute Nachmittag in Kephalonia, Sie und ich.« Mit flatternden Lidern blickte sie ihn an, blickte das Wunder an. Heute Nachmittag sie und er am Meer, Hand in Hand. Sie atmete ein, roch das Meer und seinen Lebensgeruch. Eine trunkene Reise ans Meer, dachte sie lächelnd und sich drehend, den Kopf auf dem geliebten Refugium. Und dann bin ich durch die Dienstbotentür verschwunden, um ihr nicht zu begegnen, denn, verstehst du, er hat ein Luxusappartement mit Dienstboteneingang, kurzum, ich bin schnurstracks mit dem Taxi ins Palais gefahren und habe ihm dort ein kleines Meisterwerk fabriziert, eine klasse Zusammenfassung und dazu noch einen ganz tollen persönlichen Kommentar, ich war richtig inspiriert, verstehst du, habe schwer geschuftet, weil ich spürte, dass ich an meiner Zukunft baute, sehr politische Kommentare, Auswirkungen, Nuancierungen, Anspielungen und so weiter, kurz, ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Ich habe einen großen Coup gelandet, erstens, weil ich mich in ein gutes Licht setze, denn meine Kommentare sind schon verdammt gut, zweitens, weil ich ihm einen persönlichen Gefallen getan habe, indem ich ihn mit seiner Dulcinea allein ließ, was mir Dankbarkeit und Freundschaft einbringt, und drittens,
last but not least
, jetzt, wo ich eine Arbeit direkt für ein hohes Tier gemacht habe, unter Umgehung des Dienstwegs, stehe ich ganz anders da, verstehst du, das schafft direkte Beziehungen zu der hohen Direktion, und da hat Vauvau nichts zu sagen, das ist der Witz an der Sache, verstehst du, oh, er ist nicht dämlich, der liebe Adrien, er weiß sich zu wehren. Dem Ruf des großzügigen Spenders folgend, ging Imre zu ihrem Tisch, aber ohne Eile, als freier Mann, da und dort stehen bleibend. Bei ihnen angelangt, grüßte er sie mit dem Geigenbogen und begann zu seinem Privatvergnügen zu improvisieren, mal stürmisch, mal mit plötzlich großfürstlich-gemessener Zurückhaltung und schmachtend gedehnt, nach bedingungsloser Zärtlichkeit strebend, die Wange verliebt an die Geige gedrückt, aus der eine todesnahe zärtliche Melodie drang, der er mit sexuell geschlossenen Augen lauschte. »Wach auf, Imre, spiel nicht weiter«, sagte Solal. Er gehorchte, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, ein wenig die Saiten zu zupfen. »Mein lieber Imre, ich teile dir mit, ich werde Madame entführen.« Mit einem resoluten Bogenstrich, der langsam über die Saiten strich, begrüßte der Zigeuner die gute Nachricht und verneigte sich vor der interessanten Dame. Die Geige unter das Kinn geklemmt, zwirbelte er mit der Spitze des Bogens seinen mit der Brennschere gerollten Schnurrbart hoch und fragte nach den Wünschen der edlen Dame. »Deinen schönsten Walzer«, sagte Solal. »Bei meinem Leben«, sagte Imre. Dumm ist nur, dass ich ihm mein kleines Meisterwerk nicht persönlich im Ritz überreichen konnte, das ist schade, es hätte intimer gewirkt, aber ich konnte ihn natürlich nicht stören, wegen seiner Dulcinea, daher habe ich meine Zusammenfassung und meine Kommentare in einen Umschlag für die interne Post gesteckt, mit dem Namen des Empfängers, gut zugeklebt und mit dem Aufkleber »Streng vertraulich« versehen, ihn jedoch, um ganz sicherzugehen, nicht in meinen Korb für ausgehende Post gelegt, denn Vauvau steckt überall seine Nase hinein und wäre durchaus imstande, den Umschlag zu öffnen, um zu sehen, was ich dem Boss schicke, trotz des »Streng vertraulich« oder gerade wegen des »Streng vertraulich«, er könnte ihn aber auch einfach einstecken, dieses Schwein, eifersüchtig wie er ist, und daher habe ich, nicht dämlich, den Umschlag einfach unbemerkt in den Eingangskorb von Saulnier, dem persönlichen Amtsdiener vom Boss, gelegt, so bin ich sicher, dass er unterwegs nicht von Vauvau abgefangen wird, tja, reine Notwehr. Von ihrem ernsten Verlangen geführt, drehten sie sich, sternengleich. »Was für Bäume gibt es in Kephalonia?«, fragte sie, die Tochter aus reichem Haus und Genießerin der Naturschönheiten. Die Augen woanders, zählte er die
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