Die Schöne des Herrn (German Edition)
ein Chalet in den Bergen zu mieten und dort ruhig zu leben. Also den Basset holen, der wäre ein lieber Gefährte, und den Zug nach Genf nehmen, aber nur so kurz wie möglich dort bleiben, um ihm nicht zu begegnen, gerade so lange, um Geld von der Bank abzuheben. Anschließend nach Lausanne fahren, wo ihr eine Agentur ein Chalet vermitteln könnte. In Lausanne Bücher kaufen, Schallplatten, ein Radio. Es wird sich alles regeln, du wirst sehen. Ein behagliches Chalet, ein netter Hund, Bücher, ein bisschen Gärtnerei. Keine Liebe mehr, Schluss damit, sie würde sich keine Gedanken mehr um diese blauen Adern an den Beinen machen müssen. Und jetzt ein Bad, um ins Leben zurückzukehren. Sie warf die Tabletten in die Toilette und drückte die Spülung.
Sie stieg aus dem Bad, trocknete sich ab, vermied es, in den Spiegel zu blicken, und rieb sich mit Eau de Cologne ein. Angenehm, gut zu riechen, sich sauber zu fühlen. Auch das war ein Beweis für die Rückkehr ins Leben. Sie schlüpfte in den Morgenrock, öffnete das Fenster, trat auf den schmalen Balkon hinaus, stützte sich mit den Ellbogen auf das Geländer, und da stand er vor ihr, groß, ohne Hut, mit wirrem Haar, verfolgte sie lachend, verfolgte sie um eines Kusses willen, und sie beugte sich herab, beugte sich noch mehr, um ihm zu entkommen, und das Geländer drückte sich schmerzend in ihren Bauch, und die Arme nach vorn gestreckt, stieß sie einen Schrei aus in die Leere, in der ein Neger lauerte, und dann ein zweiter Schrei vor dem Aufprall auf den Asphalt des Bürgersteigs vor dem Kiosk mit den bespritzten Zeitungen.
LI
Auf Perfektion bedacht, schrieb sie zuerst ins Unreine, zweimal, dreimal oder noch öfter. War sie mit dem letzten Entwurf zufrieden, wusch sie sich die Hände, um das Briefpapier, Velin teinté, nicht zu beschmutzen, wusch sie lange und ausgiebig, bezaubert von dem Gedanken, dass sie eine Vestalin war, die sich vor dem Vollzug eines Rituals reinigte.
Dann setzte sie sich an ihren Tisch oder kniete sich sogar auf den Boden, eine wenig bequeme Stellung, die sie jedoch aufregend fand, und schraubte ihren guten Füllfederhalter auf, den mit der abgeschrägten Spitze, die ihrer Schrift etwas Männliches verlieh. Nach ein paar vorbereitenden Schriftproben, wobei sie auf edlen Schwung und Lesbarkeit achtete, legte sie ein schützendes Löschblatt unter die rechte Hand und begann ihren Brief, die Zunge leicht herausgestreckt und die Rundungen der Schrift anmutig begleitend. Sie war so auf absolute Perfektion bedacht, dass sie manchmal einen fast voll beschriebenen Bogen zerriss, weil ein Wort nicht ganz gelungen war oder sie irgendwo einen winzigen Fleck bemerkt hatte. Oder sie beschloss, den gleichen Text zwei- oder dreimal zu schreiben, um dann den von der Schrift her schönsten auszuwählen. Nach beendeter Arbeit und häufigem Nachschlagen im Wörterbuch las sie sich noch einmal alles laut vor, um sich ganz davon durchdringen zu lassen, las mit fast beschwörendem Tonfall, genoss melodisch jede glückliche Wendung, hielt inne, um eine Stelle richtig auszukosten, wiederholte sich bisweilen einen Satz, den sie für besonders gelungen hielt, und stellte sich vor, sie sei er beim Lesen des Briefes, um sich des Eindrucks, den er auf ihn machen würde, besser bewusst zu werden.
Einmal zwang sie sich zu einer unbequemen Position beim Schreiben, indem sie sich auf das Sofa legte, nur um des Vergnügens willen, ihren Brief mit den Worten »ich schreibe Ihnen, bequem auf unserem Sofa ausgestreckt« beginnen zu können, was wollüstiger klang und an Madame Récamier erinnerte. Ein anderes Mal hatte sie, nachdem sie in seiner Gegenwart ein paar Worte geschrieben hatte, die er erst lesen sollte, wenn er zu Hause angekommen war, darauf verzichtet, den Rand des Umschlags mit der Zunge zu befeuchten, weil das ordinär gewesen wäre, und sich statt dessen reizende Umstände gemacht, indem sie ihren Zeigefinger sittsam befeuchtet hatte und mit ihm über den Gummi gefahren war. Und dabei hatte sie ein paar Minuten zuvor auf dem Sofa sehr viel weniger Umstände gemacht.
Von jedem Brief, den sie ihrem Geliebten schrieb, wenn er auf Dienstreise war, behielt sie einen Entwurf, um ihn an dem Tag und zu der Stunde wieder lesen zu können, wo er ihrer Berechnung nach das Original erhalten würde. Dadurch hatte sie das Gefühl, bei ihm zu sein, und konnte die Bewunderung genießen, die er empfinden musste. Eines Abends, als sie, in Gedanken bei ihm, das Ende eines
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