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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Händen, so dass nur der herrliche Satz sichtbar blieb. Sie hypnotisierte sich mit diesem Satz. Um ihn besser zu spüren, deklamierte sie ihn, oder sie nahm einen Handspiegel und vertraute ihn sich mit leiser Stimme an, und wenn er ihr schrieb, er sei traurig ohne sie, war sie glücklich und lachte. »Er ist traurig, er ist traurig, wunderbar«, rief sie, und sie las den Brief wieder und wieder, las ihn so oft, bis sie nichts mehr begriff und die Worte ihren Sinn verloren.

    Meist jedoch widerstand sie dieser Versuchung, wusste, dass allzu häufiges Lesen einen Brief verdarb, dass man ihn dann nicht mehr spürte. Also schloss sie ihn ein und gab sich ihr Ehrenwort, ihn in Ruhe zu lassen und vor dem Abend nicht wieder hervorzuholen. Bis dahin hätte der Brief wieder seine volle Würze und Kraft, und das wäre die Belohnung für das Warten, und dann würde sie ihn noch einmal lesen, gemütlich zusammengekuschelt unter der Bettdecke. Sie lächelte, träumte vor sich hin, hob ein wenig den Rock, liebte ihre Beine. »Geliebter, wollen Sie noch mehr sehen? Es gehört ja alles Ihnen.« Sie hob den Rock noch höher und schaute.

    Eines Abends fand sie, dass man mit den Fingern nicht gut verdecken konnte. Sie sprang aus dem Bett, nahm ein weißes Blatt Papier, schnitt mit der Schere ein kleines Rechteck heraus und begann die Lektüre aufs neue. Ja, das war ein viel besseres System. Durch das kleine Fenster sah man nur drei oder vier Worte auf einmal, und das war noch toller, die Worte wurden noch lebendiger. Als sie bei »die Schönste der Frauen« angelangt war, sprang sie aus dem Bett und lief zum Spiegel, um diese schöne Frau anzusehen. Ja, es stimmte. Aber diese Schönheit nutzte ja nichts, weil er nicht da war. Vor dem Spiegel schnitt sie Grimassen, die sie hässlich machten, um sich über die Abwesenheit des Geliebten hinwegzutrösten. He, genug Grimassen, damit kann man sich die Haut verderben oder sogar den Muskeln darunter schaden. Um den möglichen Schaden zu beheben, setzte sie ein engelhaftes Lächeln auf.

LII

    Ihr jungen Leute, ihr mit den wilden Mähnen und den makellosen Zähnen, vergnügt euch auf jenem Ufer, wo man sich immer auf ewig liebt, wo man nicht auf ewig sich immer liebt, dem Ufer, wo die Liebenden lachen und unsterblich sind, Auserwählte auf einem begeisterten Viergespann, berauscht euch, solange es Zeit ist, und seid glücklich, wie es Ariane und ihr Solal waren, aber habt Mitleid mit den Alten, den Alten, die ihr bald sein werdet, mit triefenden Nasen und zitternden Händen, Händen mit dicken verhärteten Adern, Händen mit rotbraunen Flecken, trauriges Rotbraun der welken Blätter.

    Wie schön ist diese Augustnacht, sie ist jung geblieben, aber ich nicht, sagt einer, den ich kenne und der einmal jung war. Wo sind sie, diese Nächte, die derjenige kannte, der einmal jung war, wo sind sie, seine und ihre Nächte, in welchem Himmel, welcher Zukunft, auf welchen Schwingen der Zeit, diese entschwundenen Nächte?

    In diesen Nächten, sagt derjenige, der einmal jung war, gingen wir in ihren Garten, bedeutsam vor Liebe, und sie blickte mich an, und wir gingen, genial in unserer Jugend, gingen langsam der trefflichen Musik unserer Liebe entgegen. Warum, mein Gott, warum kein duftender Garten mehr, keine Nachtigall mehr, warum nie mehr ihr Arm, der sich auf meinen Arm stützt, nie mehr ihr Blick zu mir und dann zum Himmel?

    Liebe, Liebe, Blumen und Früchte, die sie ihm jeden Tag schickte, Liebe, Liebe, junge Torheit, gemeinsam dieselben Trauben zu essen, Traube für Traube gemeinsam, Liebe, Liebe, bis morgen, Geliebte, Liebe, Liebe, Küsse und Abschiede, und sie begleitete ihn nach Hause, und er begleitete sie nach Hause, und sie begleitete ihn, und das Ende war das große, nach Liebe duftende Bett, o Liebe, Nächte und Nachtigallen, Morgenröten und die unvermeidlichen Lerchen, Küsse tätowiert auf ihre Lippen, Gott zwischen ihren vereinten Lippen, Freudentränen, ich liebe dich und ich liebe dich, sag, dass du mich liebst, o die Anrufe der Geliebten, ihre goldene, bald zärtliche, bald klagende Stimme, Liebe, Liebe, Blumen, Briefe, Warten, Liebe, Liebe, so viele Taxifahrten zu ihr, Liebe, Liebe, Telegramme, trunkene Reisen ans Meer, Liebe, Liebe, ihre genialen Einfälle, unerhörten Zärtlichkeiten, dein Herz, mein Herz, unser Herz, wichtige Torheiten. Liebe, ehemalige Geliebte, beweine ich dich oder meine Jugend?, fragt derjenige, der einmal jung war. Welche Hexe wird mir meine schwarzen

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