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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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ihrer Sprache von damals! Oh, ich habe Angst vor ihnen! Sie haben uns im dreizehnten Jahrhundert verbrannt! Sie werden uns auch im zwanzigsten Jahrhundert verbrennen! Es gibt keine Rettung für uns, das musst du wissen, mein Lieber! Sie beten ihren bösen Führer an, den bellenden Mann mit dem Schnurrbart! Sie sind alle mit ihm einverstanden! Der Bischof Berning ist mit ihm einverstanden! Er hat gesagt, alle deutschen Bischöfe seien mit ihm einverstanden! Mein Onkel hat es mir gesagt, mein Onkel, der so Majestätische! Und jetzt komm!«
    Ganz wirr im Kopf, ließ er sich von ihr führen, die sich zuweilen umdrehte und ihm zuzwinkerte, und er sah Truhen, Ohrensessel, Schränke und Kronleuchter, die auf dem Boden lagen, und folgte ihr gehorsam, während die Uhren versetzt schlugen und die Gliederpuppen lächelten und sie aus dem Dunkel heraus beobachteten. Abermals hielt sie plötzlich inne, streichelte eine ausgestopfte Eule mit orangefarbenen Augen und großen Augenbrauen, die sie ebenfalls anstarrte, und hielt dann ihre Laterne über einen Sarkophag, in dem eine Mumie lag.
    »Auch der Pharao!«, sagte sie. »Bis auf den Letzten hat er uns vernichtet! Sie vernichten uns bis auf den Letzten, und dann krepieren sie!«
    Stumm und mit schmerzendem Schädel lächelte er stolz, wurde wie sie und wusste es. Plötzlich ekelte ihm vor der kleinen feuchten Hand, aber er traute sich nicht, sie loszulassen, weil er einen Schwall von Vergeltungsmaßnahmen fürchtete. Sie blieb vor einem kunstvoll geschmiedeten Eisengitter stehen, hob die Laterne, schnalzte mit der Zunge und deutete theatralisch auf eine alte Hofkarosse mit abgeblätterter Vergoldung, stellenweise rußgeschwärzt, aber immer noch aus vielen kleinen Facettenspiegeln funkelnd und mit fackeltragenden Cherubinen geschmückt.
    »Erinnerung, Erinnerung! Mein Großvater, der Wunderrabbi! Der berühmte Rabbi von Lodz! In dieser Karosse hat man ihn des Nachts im jüdischen Viertel herumgefahren! Kein Dach, weil er stehend segnete! Eine königliche Karosse! Ich würde am liebsten jemanden beißen, so stolz bin ich! Wir werden sie für meine Hochzeit benutzen! Ich kann Hochzeit in sieben Sprachen sagen! Und falls man dir sagt, ich hätte zu hohen Blutdruck, glaub kein Wort! Ich habe nur Ideen!«, rief sie und fuchtelte schalkhaft und entzückt mit ihren kleinen Händen herum. »Und jetzt komm, ich zeig dir was, aber keine Angst, denn sie sind angebunden!«
    Er ließ ihr den Vortritt, denn er wusste plötzlich, dass sie, wenn sie hinter ihm bliebe, versucht wäre, ihm an den Nacken zu springen, vor Angst schreien, ihm um den Hals fallen und ihn vielleicht beißen würde. »Schnell«, sagte sie und zog ihn heftig mit sich. Hinter der Karosse ruhten zwei klapprige Gäule, mit einem Halfter angebunden. Der Kopf des einen berührte mit halb heraushängender Zunge den Boden. Der andere bewegte langsam seinen langen menschenähnlichen Kopf hin und her, dessen vergrößerter Schatten zögernd von einer Wand zur anderen glitt.
    »Die Pferde meines Großvaters!«, verkündete sie. »Mein Vater wollte sie bis zu ihrem endgültigen Tod behalten! Aus Respekt, aus Respekt! Früher waren sie oben im Stall, aber jetzt verstecken auch sie sich mit uns, die armen Alten, Isaak und Jakob heißen sie! So, genug! Schau dich an!«, schrie sie mit grimmiger Besessenheit, und erneut hielt sie ihm ihren Taschenspiegel vors Gesicht. »Das hast du vom Leben draußen, du leichtsinniger Kerl! In den Keller, Jude! Du wirst es gut bei mir haben, aber wisse, dass mein Herz bereits einem gewissen Baron gehört, den ich Nathaniel Bischoffsheim vorgezogen habe, der mir zu jung ist! Ich liebe sie ein bisschen reif und schön gar, so dass es nachgibt, wenn man draufdrückt! Die Ohren halten sich übrigens gut in Spiritus, vergiss das nicht, falls du eines Tages dein eigenes vom Boden aufliest. In Łodz gab es ein Pogrom, als sie mit mir schwanger war, und da hat sie sich gerächt, und deshalb bin ich klein geboren. Außerdem kannst du mir erzählen, was du willst, ich nehme es dir ab oder auch nicht. Es liegt ganz an dir, mein Lieber, wer eine Lüge ausspricht, beißt sich die Zähne daran aus, und welches Mädchen wird dich noch wollen, wenn du nur noch abgebrochene Zähne im Mund hast? Weißt du denn nicht, dass man ohne ausgezeichnetes Kauwerkzeug nichts erreicht? (Sie lächelte breit, um ihre kräftigen Zähne zu zeigen, und stemmte die Faust in die Hüfte.) Man nennt mich Zwergin, aber man interessiert sich

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