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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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Nach einem letzten Rundblick ging sie hinaus.
    Wie könnte man dieses Vestibül noch verschönern? Mit einem der kleinen Teppiche von Tantlérie? Nein, den müsste sie aus dem Keller holen, was gefährlich wäre. Ein zu großes Risiko, ruinierte Fingernägel, beschmutztes Kleid, mögliches Verstauchen des Fußes auf der heimtückischen Treppe. Sie konnte es sich nicht leisten, heute Abend zu hinken. Das Einfachste wäre, im Vestibül kein Licht zu machen, wenn er klingelte. Im Dunkeln verschwanden die Deumereien, und sie konnte ihn sofort in den kleinen Salon führen.
    Verdammt! Das duftlose Bad vergessen! Schon sieben Uhr zweiundvierzig! Gerade noch Zeit, aber sehr knapp. Also Expressbad, mit Schlachtplan! Beim Einseifen bis sechzig zählen, nein, bis fünfundfünfzig! Bei sechsundfünfzig abspülen bis sechsundsechzig! Abtrocknen von siebenundsechzig bis achtzig!
    »Komm, meine Liebe, ich werde dich waschen, gib mir die Hand.«

***

    In sein Abteil zurückgekehrt, fühlte er sich wieder ganz A. Auf dem Samtpolster sitzend, gähnte er, lächelte seiner Frau zu und zog seine Uhr auf, die es gar nicht nötig hatte. Neunzehn Uhr fünfundvierzig. In einer Viertelstunde Lausanne. Um den gratis gebotenen Luxus voll auszukosten, lehnte er den Kopf an das Mittelkissen, eine dicke, an zwei Schnüren befestigte Wurst. Donnerwetter, so eine Reise erster Klasse konnte Vermeylen sich nicht leisten! Der arme Vermeylen, er hatte ganz vergessen, sich bei ihm zu melden, es hätte ihm Vergnügen gemacht, ihm von seiner Dienstreise zu erzählen. Sehr angenehm dieser Zug, der für ihn rollte, der sich solche Mühe für ihn gab, für den lieben Adrien Deume, der auf so wunderbare Weise vorankam, ohne sich zu bewegen, ohne einen Finger zu rühren, ein kleiner König der Welt. Die Augen geschlossen, der Kopf wohlig am Kissen hin und her schaukelnd, entwarf er leise den Brief, den er morgen schreiben würde.
    »Liebe Mammi, ich bitte Dich mit einem zärtlichen Kuss, mir nicht böse zu sein, dass ich mich so plötzlich entschloss, vorzeitig nach Genf zurückzukehren, denn siehst Du, Mammi, es wäre nicht recht gewesen, noch eine Woche verstreichen zu lassen, nachdem ich bereits gestern meine diplomatische Mission in Brüssel beendet hatte, und nicht zu meiner armen Gemahlin zurückzukehren, die in ihrer Einsamkeit vor Langeweile vergehen muss, also liebste Mammi, sei Deinem Didi wieder gut, stell Dir vor, ich habe eine angenehme Bekanntschaft gemacht, in Brüssel hat sich ein sehr vornehmer Herr in mein Abteil gesetzt, und ich habe gleich gespürt, dass ich es mit einem sympathischen Menschen zu tun habe, und ohne mir etwas anmerken zu lassen, habe ich einen Blick auf die Visitenkarte geworfen, die an seinem Koffer hing, und da sehe ich, dass es Herr Louis-Lucas Boerhaave ist, Generaldirektor im Außenministerium, also noch höher gestellt als van Offel, meine Intuition hatte mich also nicht getäuscht, denn es gibt so Unwägbarkeiten, die einen immer eine vornehme Person erkennen lassen, und unter dem Vorwand, ihn zu fragen, ob meine Zigarette ihn störe, denn Du kannst Dir denken, dass ich vor einer solchen Persönlichkeit niemals meine Pfeife angezündet hätte, habe ich ein Gespräch begonnen, und es ist sehr gut gelaufen, das gehört zu den Vorteilen des Reisens in der ersten Klasse, man trifft dort immer interessante Leute, allerdings hat er mir zuerst mit einer gewissen Zurückhaltung geantwortet, aber als er hörte, dass ich ein paar Tage bei den van Offels verbracht habe, die ihm gesellschaftlich ebenbürtig sind, wurde er sehr liebenswürdig, da er mich einordnen konnte, und natürlich habe ich ihm auch von meiner langen Dienstreise erzählt, kurz, er hat gespürt, dass er jemanden aus dem gleichen Milieu vor sich hatte, wir haben angenehm über dieses und jenes geplaudert, die internationale Lage, Literatur, es war mir ein großes Vergnügen, er ist sehr gebildet, liest Virgil im Original, streut griechische Zitate ein, ist aber auch einem Scherz nicht abgeneigt, als wir beispielsweise über die Schweiz sprachen, sagte er mir, die Schweizer seien ein sehr ordentliches Volk, dort habe man keine Löcher in den Strümpfen, dafür aber um so mehr Löcher im Käse, wir haben herzlich gelacht, leider ist er in Luxemburg ausgestiegen, was ich sehr bedauert habe, denn dieser charmante Mann war mir auf Anhieb sympathisch, er hat den Rang eines Botschafters und wird mit der belgischen Delegation als beigeordneter Delegierter an der

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